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PUNX ON TOUR - VON FREIBURG
NACH DAKAR
Das große weiße Gebiet auf der Landkarte des Punks
ist
ironischer weise ausgerechnet der so genannte schwarze Kontinent:
Afrika!
Schon lange bin ich auf der Suche nach prickelnden Punksongs aus den
pulsierenden Metropolen Afrikas. Doch leider herrscht tote Hose bzw.
der HipHop. Während Rock, Metal und vor allem Punk in Afrika
nahezu keine Heimat finden, dröhnt scheinbar bis in die letzte
Buschbar der Beat des HipHop. Ja liebe Freunde, Punk und HipHop... das
ist doch wie Teufel und Weihwasser.
Nichtsdestotrotz war ich Feuer und Flamme, als mir mein Bruder Anfang
des Jahres vorschlug sein Auto in den Senegal zu
überführen.
Nico hat nicht nur eine zeit lang im Senegal gelebt, sondern ist als
permanenter Handelsreisender in allen Ecken Afrikas unterwegs. Seinen
Opel wollte er nun überführen, um dem Bruder seines
senegalesischen Freundes Antonain einen Gefallen zu tun. Der
arbeitslose Bruder hatte den Plan die Karre zum lukrativen
Taxiunternehmen umzufunktionieren. Gelb war der Opel immerhin schon.
Allerdings entsprach das Baujahr nicht den gesetzlichen Richtlinien des
Landes. Seit wenigen Jahren ist es nur noch erlaubt Autos mit einer
Laufzeit von maximal 5 Jahren ins Land zu importieren. Eine
Maßnahme um die Flut an Schrottkarren zu bremsen, die sich
von
Europa in den Senegal ergießt. Dass sich vor Ort jedoch nur
die
wenigsten Menschen ein 5 Jahre altes Auto leisten können, ist
der
gesetzgebenden Kraft dabei wahrscheinlich entfallen. Um die Schikanen
des Staates zu umgehen sollte das Auto also über die
grüne
Grenze nach Gambia gebracht und anschließend von
irgendwelchen
Schmugglern nach Dakar überführt werden. Klingt
abenteuerlich... ist es bestimmt auch. Und so wurden die
Reisevorbereitungen in Angriff genommen: Visum für Mauretanien
organisieren, Auslandskrankenversicherung besorgen und
Rückflug
buchen. Soweit so einfach!
Doch just ein paar Wochen vor Abfahrt meldete sich Antonain und
verkündete, dass die Schmuggler wohl etwas zu viel Geld
für
ihre Dienste verlangen würden und dass das Auto als
3-Türer
ohnehin nicht als Taxi zugelassen würde. Au man! Wir waren
natürlich hell auf begeistert ob dieser großartigen
Nachrichten. Der Urlaub war eingereicht, die Flüge gebucht und
das
Visum beantragt. Die Lösung kam schneller auf den Tisch als
eine
Portion Mama Miracoli: Anderes Auto besorgen und dann in Mauretanien
verkaufen! Die Mafiamethoden ließen wir dennoch stecken. So
bemühten wir statt Brecheisen und Autodiebstahl lieber
Internet-Suchportale zum Gebrauchtwagenhandel. Parallel versuchte ich
bei diversen Autohändlern im Freiburger Umland Fachkenntnis
vorzutäuschen. Mit kritischem Blick unter diverse Motorhauben
und
Gerüttel am Fahrwerk sorgte ich lediglich für
müdes
Gelächel. Schnell wurde mir klar: Gebrauchtwagenhandel ist
fest in
den Händen von dubiosen Profis. Zum Glück hatte mein
Bruder
den richtigen Riecher und die richtigen Freunde. Bestückt mit
zwei
türkischen Kollegen kreuzte er in der bayrischen Provinzidylle
auf
und ließ sich einen Renault 21 vorstellen. Kostenpunkt: 1400
Euro. Die türkischen Verhandlungsprofis
überprüften den
Kilometerstand (95.000), den Motor und das Getriebe und
stießen
hervor: ‘Unser Preis - 700 Euro’. Zwei Tage
später
ballerte ich mit einem tiptop Renault 21 für 900 Euro in
Richtung
Freiburg. Der bayrische Opa, dem diese Rennschüssel
ursprünglich gehörte, würde im Grabe
rotieren,
wüsste er, dass ausgerechnet ein oberschlauer Punker seine
heilige
Mühle nach AFRIKA bringen möchte. Schon auf den
ersten 100
Kilometern schloss ich das 17 Jahre alte Gefährt ins Herz. Ein
spritziger Turbodiesel, vom Opa liebevoll gepflegt und von
verschwendungssüchtigen Franzosen mit Komfort der Extraklasse
ausgerüstet. Gleich am nächsten Tag gab’s
noch einen
Ölwechsel, einen kurzen ‘allround check’
und die
unvermeidliche “Landratsamt Export-Kennzeichen-
Auslandsversicherungs-Tour, die den Wert des Wagen auf 1200 Euro
ansteigen ließ. Das Lidl-Autoradio für 70 Euro war
da noch
eine vergleichsweise kleine Investition. Im Angesicht von etwa 6000
Kilometer Strecke, war das schicke Ding natürlich sofort
gekauft
und installiert. 1-2-3 und Action hieß es dann am 10. August,
als
Julia und ich in Richtung Frankreich donnerten. Tschüss
Deutschland, Tschüss Regen, Tschüss Vorweihnachtszeit
im
August.
Aber Frankreich im August, dass hatten wir fast vergessen, ist
natürlich auch kein Zuckerschlecken. Halb Europa scheint die
Badehose eingepackt zu haben, um bei Rotwein und Baguette zu Leben wie
ein Gott in... Wir stocherten also genervt von Wohnmobilen und Campern
über die Landstraßen und versuchten Staus zu
vermeiden. Das
war natürlich nicht so einfach. Die Situation
verschärfte
sich dann allerdings erst so richtig in Spanien. Aus unserem Ziel so
schnell wie möglich ans Meer zu gelangen wurde dank einer
Vollsperrung der Autobahn bei Figures nichts. So verbrachten wir
erstmal zwei Nächte auf schmierigen Raststätten,
zusammengerollt im Bauch unseres Autos. Hier entpuppte sich
‘René’ (so der liebevolle Name
für unser
Gefährt) als wirklich geniales Auto. Der Renault 21
überzeugt
nämlich nicht nur durch ein schnittiges Fließheck
und
sportlichen Chic, nein auch die Rückbank lässt sich
kinderleicht umklappen und in Kombination mit einem
entrümpelten
Kofferraum, in ein mehr oder minder bequemes Bettchen umwandeln. Als
Sparfüchse verzichteten wir dabei natürlich auf den
Komfort
von Isomatten oder ähnlichem. Das sollte sich für die
nächsten Wochen nicht ändern. Die krachenden Knochen
puzzelten wir also einfach morgens zusammen und waren immer wieder
verzückt, wenn wir uns allmorgendlich in die bequemen Sessel
des
Autos fallen lassen konnten.
Als Basislager in Spanien war das Naturschutzgebiet Cabo de Gata
östlich von Almeria auserkoren worden. Ein wirklich herrliches
Fleckchen Land, welches wir schon im letzten Oktober erkundet hatten.
Traumhafte Strände, kleine Buchten und kaum nennenswerte
Ortschaften. So sah es zumindest im Oktober aus. Aber: Alarm Alarm
Alarm. Es war ja August, der Wonnemonat für Touristen.
Dementsprechend schlugen wir uns den Plan am Strand zu
übernachten
ziemlich schnell aus dem Kopf. Lungerten wir letztes Jahr noch mit
einer handvoll Touristen am abgelegenen Strand Mosul herum, so war es
nun schon ein schwieriges Unterfangen überhaupt einen
Parkplatz zu
finden. Hunderte von Spaniern stapelten sich am Strand und
veranstalteten ein derartiges Spektakel, dass wir desillusioniert
umkehrten, um uns in der Nähe einen Campingplatz zu suchen.
Trotz
unseres Mini-Wigwams von 2x2 Metern war das schwerer als erwartet. Und
vor allem teurer! Nach ein paar heiteren Stunden im Meer, hatten wir
auch hier genug gesehen. Vor allem von den jungen Spaniern, die hier
Urlaub machen. Alle laufen rum, wie halbe Punks und Bauwagenbewohner
und kiffen sich von morgens bis abends einen Joint am nächsten
in
die Lungen. Dieser Alternative-Chic geht mir total auf den Geist, vor
allem, wenn man diese Affen abends, um ihren Grill hocken sieht, auf
dem sie ihre dicke Steaks braten. Zu oft waren wir auf unserer Reise
schon an Tierquäler-Anlagen und Abschlachtbetrieben vorbei
gefahren, als dass wir noch Bock darauf gehabt hätten,
pseudoalternative Spacken beim Fleischfressen zu beobachten.
Also weiter entlang der Costa del Sol, der ekelhaftesten Ecke Spaniens.
Hier wurde eine miese Hotelburg an die nächste gebaut, um auch
dem
letzten Proll das Gefühl zu geben, an der Schickeria von
Marbella
schnuppern zu können. Natürlich gibt’s das
Paradies der
Reichen und Schönen auch noch irgendwo, doch dazwischen
regiert
die übliche Urlaubstristess. Klar, dass man dann im
örtlichen
Lidl (!!!) auch auf Horden von rotgebrannten Ostdeutschen treffen muss,
die hier lauthals ihre Kinder zur Minna machen. Nix wie weiter!
Nach einer weiteren Nacht im Auto machten wir uns früh morgens
auf, um uns in Algeciras nach den Fährverbindung nach Marokko
zu
erkundigen. Die erste Reiseagentur entließ uns
desillusioniert
auf die Straße: 180 Euro für eine
Überfahrt, die gerade
mal 40 Minuten dauert? Geht’s noch? Um so baffer waren wir,
als
uns der nächste Vermittler den selben Trip für 37
Euro anbot.
Als ordentlicher Deutscher glaubt man hier natürlich sofort an
Nepp und Schwindel... kann aber auch den Schnäppcheninstink
nicht
unterdrücken und schlägt zu! Und
tatsächlich... kein
Betrug, kein alter Kahn und auch keine Zusatzklausel... 2 Personen und
René bezahlten für die Überfahrt 37 Euro.
Wir jubelten
und sahen gespannt dem Kontinent Afrika entgegen. Doch erstmal landeten
wir in der spanischen Enklave Ceuta. Dem ein oder anderen
dürfte
dieses Fleckchen Erde bekannt sein, schließlich spielen sich
in
dessen Umgebung diverse Flüchtlingsdramen ab und immer wieder
rückt dieser europäische Außenposten ins
Lichte der
Öffentlichkeit. Seit 1580 hat hier Spanien ein kleines
Koloniechen
am Laufen und schirmt es nach europäischer Manier von den
Afrikanern ab. Ich hatte eigentlich nur einen militärischen
Posten
und einige dubiose Geheimdienstler erwartet. Ceuta ist aber
tatsächlich ein bewohnter Ort mit Supermärken und all
dem
Quatsch. Umgeben natürlich von einer Abschottungsanlage, die
den
eisernen Vorhang, wie einen windschiefen Kuhzaun erscheinen
lässt.
Meterhohe Mauern, Natodraht, Bewegungsmelder, Flutlicht und haufenweise
Einsatztruppen. Das verdammte, gelobte Land zeigt hier schon deutlich
die Zähne: Europe - no entry!!
Aber auch der Grenzübertritt in die andere Richtung sollte
nicht
ganz reibungslos verlaufen. Es herrschte vor Ort nämlich
heiteres
Chaos. Eine Vielzahl an hilfsbereiten Kerlen lungerte um unser Auto
herum und es war schwer auszumachen, welchem Halunken wir hier wirklich
Vertrauen schenken sollten. Permanent wedelte man uns mit irgendwelchen
Ausweischen vor der Schnauze rum und erklärte uns auf deutsch,
spanisch, französisch und englisch, dass man hier als
Tourist-Guide angestellt sei. Aufgeschreckt durch unseren miesen
Reiseführer (Marcopolo-Reiseführer kann man getrost
an die
Schweine verfüttern)... witterten wir überall Betrug
und
Abzocke. So lamentierte ich mich unstet von Polizeikontrolle zu
Grenzbüro und wieder zurück. Wo sind die Papier? Auf
wen ist
das Auto zugelassen? Wie, du hast keine Vollmacht deines Bruders? Wo
zur Hölle ist die Auslands-KFZ-Versicherung? Ja wo zur
Hölle
ist die KFZ-Versicherung? Wo zur verdammten Hölle? DAS
GRÜNE
PAPIER? DAS GRÜNE PAPIER?
Von dem verschissenen, grünen Papier hatte ich noch nie etwas
gehört. Deswegen war ein Obulus von 57 Euro nötig, um
eine
schicke marokkanische Autoversicherung zu erwerben. Kaum hatte ich das
Papier in der Hand wurde ich mit Vorzug behandelt und von den Cops
durchgewunken. Uff, geschafft, die erste Grenze hatten wir hinter uns
gebracht. Und außer Nerven, 57 Euro und 1,5 Stunden hatten
wir
nichts zurücklassen müssen. Als wir dann allerdings 3
Tage
später das GRÜNE PAPIER doch noch im Handschuhfach
ausfindig
machen konnten, wollten wir uns am liebsten selbst die Fresse polieren.
Neben 57 Euro hätten wir uns eine ganze Menge an Trouble
sparen
können. Tja, man lernt nie aus.
In Marokko lernte ich auch sehr schnell. Zum Beispiel für was
der
Big Boss König Mohamed IV seine Moneten raushaut: Bullen und
Nationalflaggen. Das ganze Land ist gepflastert mit Polizeisperren und
Fahnenmasten. An jeder Straßenecke baumelt der Nationallappen
und
in jedem noch so schmierigen Cafe grinst ein Portrait des Monarchen in
die Düsternis.
Uns war aber überhaupt nicht nach Düsternis, sondern
nach
Sonnenschein und Mittelmeer. Deswegen fuhren wir noch ein paar
Kilometer und steuerten den erstbesten Campingplatz in Martil an.
Martil ist eines dieser Käffer, die nur für den
Sommer
existieren. Der Strand platzt aus allen Nähten, die Hotels
sind
voll und der einzige Campingplatz restlos überfüllt.
Allerdings tummeln sich hier keine Niederländer am Strand,
sondern
so gut wie ausschließlich Marokkaner. Darunter
natürlich
viele Immigranten, die den Heimaturlaub dazu nutzen, um im schicken
Mercedes vorzufahren und den Zurückgebliebenen den dicken Max
vorzugaukeln. Dass sie in Amsterdam, Paris oder Madrid jedoch die
letzten Lichter in der Leistungsgesellschaft sind, denen dazu auch noch
mit Rassismus und offener Feindschaft begegnet wird, erlaubt sich hier
niemand zu zeigen. Das ganze Jahr werden die letzten Groschen zusammen
gehalten, um im Urlaub ein anderes Bild seiner Existenz zu
präsentieren. Ein trauriges Spiel, welche im immer gleichen
Teufelskreis endet. Noch mehr Glücksritter machen sich auf
nach
Europa, um dort das leichte Geld zu finden.
Das leichte Geld lässt sich in Marokko übrigens auch
leicht
wieder verlieren, denn passend zum Sommergeschäft werden die
Preise angezogen. Für uns Mitteleuropäer bleibt
Marokko
dennoch unglaublich günstig, vor allem wenn man dazu gewillt
ist,
seine Nächte auf einem Campingplatz zu verbringen.
Campingurlaub
bedeutet in Marokko Familienurlaub und Rückbesinnung auf die
Nomadenkultur. Verwundert klemmten wir unser Zweimannzelt zwischen
riesige Zeltburgen, in denen Großfamilien wie die Beduinen
regierten und Nachts rauschende Feste gefeierten wurden.
Neben wirklich interessanten Einblicken in die Gepflogenheiten der
Marokkaner boten die Campingplätze also einige schlaflose
Nächte (Ghettoblaster mit traditionellem Geschrammel) und vor
allem Abenteuer ganz anderer Natur. Heimscheißern sei
prophylaktisch angeraten von einer Reise nach Marokko abzusehen, denn
so manche Sanitäranlage ließe selbst einem noch so
hart
gesottenen Siffnick einen eisigen Schauer über den grindigen
Rücken laufen. Man stelle sich nur einmal vor, wie ein
Plumpsklo
ohne Wasseranschluss müffelt und aussieht, in welchem ein
vollbesetzte Campingplatz seine Notdurft verrichtet. Kein Wunder, dass
sich diverse Männer in einem Meter Abstand vor das
Scheißhaus postierten, um ziellos und im hohen Bogen in den
düsteren Verschlag zu pissen. Wenn dann diese, von
Scheiße
durchsetzte, Brühe langsam aber sicher in die unbeleuchteten
Gemeinschaftsduschen fließt, ist die Schmerzgrenze auch
für
mich erreicht.
Abgesehen von diesen herben Düften bietet Marokko zum
Glück
auch erfreuliche Reize für das Riechorgan. Pralle
Früchte,
aromatische Tees, Zuckergebäck, kleine und große
Küchen
und natürlich der schwere Nebel des Haschisch. Ich plaudere
vermutlich keine Geheimnis aus, wenn ich euch davon berichte, dass
Marokkos Exportschlager das berauschende Cannabis-Kraut ist.
Dementsprechend pilgern diverse Hippies und Kiffer ins Riffgebirge, um
sich hier mit dem Stoff zu versorgen. So zum Beispiel im malerischen
Örtchen Chefchouen, wo ein gemütlicher Campingplatz
und
diverse Dealer zum verweilen einladen. Meine Welt ist der
paralysierende Rausch jedoch nicht und wenn ich bedröhnte
Dreadlock-Idioten mit ihrem Morgenjoint erblicke, bekomme ich das kalte
Kotzen. Die Reise führte also lieber weiter über
Meknés nach Marrakech, wo wir ewige Zeit damit zubrachten
nach
einem nicht mehr existenten städtischen Campingplatz zu
forschen.
Wir nahmen's gelassen und verbrachten schöne Stunden in den
engen
Gassen der Medina und auf dem weltberühmten Platz Jemaa el
Fnaa.
Der Platz ist Treffpunkt für Gaukler, Scharlatane,
Verrückte,
Hohepriester, Quacksalber,Tierquäler – und
natürlich
Touristen. Ein heilloses Spektakel und eine gewaltige Priese 1000 und
eine Nacht, die einem hier geboten wird. Kein Wunder, dass der Platz
und seine Akteure zum Weltkulturerbe erklärt wurde. Auch wenn
die
Touristendichte in Marrakech besonders hoch ist, sich die Stadt
für das internationale Publikum aufgeputzt hat und an jeder
Ecke
ein „netter Verkäufer“ auf dich wartet,
übt
Marrakech eine Faszination aus. Obwohl in der Medina und den Souks, den
alten, schmalen Gassen der Altstadt keine gastfreundliche Ruhe wie etwa
in Tétouan herrscht, lässt sich auch hier viel
Interessantes und Spannendes erleben und entdecken. Wer seine Ruhe
haben möchte, der hefte sich einfach an eine
möglichst
große Gruppe von speckbäuchigen Touristen, welche
die
Aufmerksamkeit von Verkäufern, Guides und Halunken schon auf
sich
ziehen wird. Im Windschatten der Truppe lässt sich dann in
aller
Ruhe alles betrachten und beäugen... auch wenn man dann
plötzlich irgendwo in einer Ecke dieses Gassenlabyrinths
landet
und man beim besten Willen nicht mehr weiß, wie man wieder
heraus
finden wird. Irgendwie hat's geklappt und ein paar Stunden
später
gabelten wir meine Bruder Nico auf, der mit einem dieser Billigbomber
direkt nach Marrakech durchgestartet war. Und auch wir konnten jetzt
richtig durchstarten: SÜDEN!
Wir fraßen Kilometer wie die Blöden, reizten die
Grenzen von
René aus und schafften es dennoch nicht einmal bis in die
West-Sahara. Tan-Tan-Plage hieß der trostlose Posten, in dem
wir
unsere Nacht verbrachten. Ein gottverlassener Streifen Strand mit
verdutzten Einwohnern und apokalyptischem und stürmischem
Wetter.
Der nächste Tag brachte nicht nur prallen Sonnenschein,
sondern
auch weitere Kilometer. Wir knallten durch die unbeschreibliche
schöne Landschaft vorbei an Bergen, Steilküste und
Sanddünen. Aber auch trostlose Dörfchen und
bettelarme
Zeltverschläge lagen am Wegesrand. Die Westsahara ist seit dem
Abzug der spanischen Kolonialmacht von Marokko besetzt und von der
Unabhängigkeitsbewegung Frente Polisario weitestgehend
befreit.
Die ursprünglichen Einwohner siedeln heute vorwiegend in
Algerien,
wo sie vor den Schergen des marokkanischen Militärs in
Sicherheit
sind. Um ein Aufflammen des Konflikts zu unterbinden und die eigenen
Interessen (vor allem am Erdöl) zu wahren, betreibt Marokko
eine
schleichende Siedlungspolitik, die wohl dazu dienen soll, um ein
mögliches Unabhängigkeitsreferendum zu kippen. Daher
wurden
über die letzten Jahre viele staatstreue marokkanische Araber
in
diese unwirtliche Gegend verfrachte. Zusammen mit Unmengen von
Militär fristet man nun sein Leben in irgendwelchen
verschissenen
Außenposten. Und da man nichts anderes zu tun hat ist die
Polizeischikane im Süden Marokkos besonders deutlich zu
spüren. Sage und schreibe 20 Polizeikontrollen mussten wir bei
unserem zweitägigen Trip von Marrakech bis zu Grenze
über uns
ergehen lassen. Hier lässt man das A.C.A.B. T-Shirt lieber zu
Hause und schäkert stattdessen ausgelassen mit den Bullen
herum.
Immer recht freundlich und mit einem flotten Spruch auf den Lippen wird
dann unzählige male die selbe Leier vom Stapel gelassen: Name,
Ziel der Reise und Beruf...
Bei den Bullen kam natürlich gar nicht gut an, wenn Julia auf
dem
Beifahrersitz oder gar am Steuer saß. Der Platz für
Frauen
ist bekanntlich auf der Rückbank oder im Kofferraum. Zum
Glück konnte Nico die runzlige Stirn so manches
Ordnungshüters durch flotte Sprüche und ergebenes
Gewäsch glätten. Gut kam zum Beispiel an:
„Sie ist die
Verlobte meines Bruder – inshallah heiraten sie
bald!“
Worauf die Cops wie im Chor blökten „INSHALLA, so
Gott
will!“ und uns weiter winkten. Wir ließen es uns
nicht
einmal nehmen einen trampenden Bullen ins Auto einzuladen, nur um am
nächsten Kontrollpunkt eine gute Figur zu machen. Ein
besonderes
Highlight war ein Polizist der den Song „Brigadier
Sabari“
von Alpha Blondie intonierte. Bei uns brach hektische Treiben aus,
hatten wir doch den Song im Gepäck und erhofften uns eine
Vorzugsbehandlung, falls der Song WUMS WUMS aus unseren Boxen
dröhnen würde. Tatsächlich wurde die CD
ausfindig
gemacht und der Brigadier mit den schiefen Zähnen hing fortan
mit
Pipi in den Augen am Beifahrerfenster herum, säuselte beseelt
den
Text mit und zeigte immer wieder den erregierten Daumen. Das Lied
erinnere ihn an seine „Fatima“ gestand er uns und
beschleunigte das übliche Prozedere. Nur eine der vielen
Gelegenheiten bei denen ich mich fühlte als hätte ich
meine
Seele verkauft. Aber was soll's... wir hatten es dafür in zwei
Tagen zu Grenze geschafft. Dort erwartete uns ein zwar neue - aber
dennoch irgendwie abgeranzte - Herberge, in der Julia als einzige Frau
natürlich angeglotzt wurde, wie zwei Tage Regenwetter.
Irgendwann
richteten sich die Blicke der Fernfahrer und Autoschieber dann doch
wieder auf die Glotze, wo der Oberbauer Ralf Möller als
Bösewicht in einem einem D-Klasse Filmchen austeilen durfte.
“Gewalt ist doch irgendwie ein Beitrag zur so genannten
Völkerverständigung” schoss es mir durch
den Kopf.
Wir gingen den Grenzübertritt nach Mauretanien bereits um 8
Uhr 30
an, hatten aber nicht mit der Engelsgeduld der Grenzbeamten gerechnet.
Obwohl wir alle Papiere, nichts zu verzollen und auch nichts zu
verbergen hatten, schmorten wir stundenlang in der Hitze und hatten uns
den verschiedentlich ausgerufenen Kommandos der Grenzstreifen zu
beugen. Dass es dabei zu reichlich Missverständnissen und
Komplikationen kam ist darauf zurück zu führen, dass
sowohl
Polizei-, Militär- als auch Zollbeamte am Start waren und sich
nicht einmal die Kommandoführenden wirklich sicher waren, wer
hier
wo in wessen Hierarchie am höchsten steht. Nico, der sich in
den
ausufernden Schlangen der Papierbestemplungs-Büros anstellte
hatte
sich innerhalb kürzester Zeit einen beachtlichen Sonnenbrand
und
miese Laune eingefangen. Die Zollkontrolle hingegen war eine Sache von
30 Sekunden. Zielsicher fummelte der Beamte an einem kleinen
Täschchen rum und bekam einen hochroten Kopf und
nervöse
Zuckungen, als er darin Kondome fand. Schnell wurden wir weiter
gewunken und so hob sich die Schranke und wir wurde entlassen ins
Niemandsland. Zwischen Mauretanien und Marokko erstreckt sich
nämlich eine Sperrzone, für welche sich keine der
beiden
Parteien zuständig fühlt. Deswegen ist dort weder
eine
geteerte Straße noch irgendwelche Hinweisschilder zu finden.
Dabei wären diese Hinweisschilder bitter nötig,
befindet man
sich doch hier auf einem mit Minen verseuchten Gebiet. Ein wirklich
mulmiges Gefühl zwischen den Überresten explodierter
Autos
hindurch zu schlingern und dann auch noch aussteigen zu
müssen,
wenn die Karre im tiefen Sand versackt. In diesem schmalen Streifen
zwischen den zwei Grenzen treibt sich entsprechend der rechtlosen
Gesamtsituation allerlei Gesindel herum, welches hier diverses
Schmuggelgut an- und verkauft. Wir sahen zu, dass wir uns nicht
aufhalten ließen und steuerten auf den Grenzposten von
Mauretanien zu: zwei Bretterbuden! Trotz oder gerade wegen dieser
schwachen Infrastruktur verbrachten wir hier weitere zwei Stunden. Die
Grenzbeamten ließen sich nämlich zwischenzeitlich
von ihrem
Sklaven (ein etwa 10 jähriger Junge) ihr Essen servieren und
verlangten von uns obendrein noch ein “cadeau” -
also ein
Geschenk in Form von Scheinchen. Ohne eine Bestechungsbetrag von
immerhin 10 Euro war einfach nichts zu machen. Wir dachten uns, dass
wir den Sack clever austricksen und einfach eine Quittung verlangen,
doch wurden wir nicht von Erfolg gekrönt. Den Beleg
für eine
offizielle Bestechung konnten wir entgegen nehmen und endlich in die
Islamic Republic of Mauretania aufbrechen. Wie schön, dass wir
immerhin ein paar Flaschen Schnaps und Wein geschmuggelt hatten. Ganz
besonders heiße Ware im gelobten Lande Allahs! Bis wir
allerdings
einen wohlverdienten Schluck zu uns nehmen sollten, vergingen noch so
einige Kilometer.
Zwischen der Nord- und der Südgrenze Mauretaniens liegt die
Sahara. Mauretanien besteht also insgesamt aus nicht viel mehr als
Sand, Sand und noch mehr Sand. Lediglich ein einziger permanent
wasserführender Fluss wird zum Mauretanien gezählt:
der
Grenzfluss Senegal. Von der Grenze aus fuhren wir auf der neuen
Straße zwischen Nouadhibou und Nouakchott in Richtung
Hauptstadt.
Vorbei ging es an wunderschönen Wüstenlandschaften,
vereinzelten Nomadenzelten und einer handvoll kleiner Siedlungen. Die
unwirkliche Weite der Wüste die anmutigen Wellen der
Sanddünen, der weite Himmel und das gleißende Licht
sind
wirklich überwältigen. Schönheit und
Trostlosigkeit
liegen jedoch dicht beieinander. In Mauretanien wachsen kaum Pflanzen
(nur 0,2% der Fläche gelten als Agrarnutzfläche),
Bodenschätze sind eher rar und lediglich durch den Fischfang
lässt sich ein wenig Geld verdienen. Mauretanien
zählt daher
zu den ärmsten Ländern der Welt. Und das sieht man
auch!
Zwischen Nouadhibou und Nouakchott ereilte uns dann noch eine kleine
Reifenpanne. Plötzlich schlingerte unser Gefährt
seltsam und
mit einem “Peng” war’s dann auch
vorüber.
Souverän meisterten wir die Lage, mussten allerdings gewaltig
schwitzen, als wir bei 45 Grad Hitze über dem
glühenden
Asphalt die eingerosteten Radmuttern lösen wollten. Derart
gestärkt eilten wir nur wenige Kilometer weiter einem
gestrandeten
Buschtaxi zur Hilfe, dessen 8 Insassen besorgt um das Auto
herumstanden. Mit aufgerissenen Augen, schüchternem
Lächeln
und freundlichen Worten wurde unsere Hilfe - in Form eines Wagenhebers
- angenommen. “Trés gentil Monsieur
Toubab!” -
“Sehr Freundlich Herr Weißer”
tönte es von allen
Seiten.
Die Hauptstadt Nouakchott erreichten wir in der frühen
Abenddämmerung und obwohl ich schon in so mancher Ecke dieser
Welt
unterwegs war, fuhr ich hier schweigend und bedrückt in diese
grenzenlose Traurigkeit hinein. Nach meine Erfahrungen in Lateinamerika
und Asien hätte ich es nicht für möglich
gehalten, dass
mich der so genannte “Kulturschock” noch einmal
derart
heftig packen könnte. Doch Nouakchott ist an
Perspektivlosigkeit
wohl kaum zu überbieten. Die Stadt taucht plötzlich
aus dem
Nichts der Wüste auf. Sie kündigt sich an durch
Unmengen an
verwesendem Müll, der durch die Weite geweht wird. Dann
säumen plötzlich Barraken, Zelte und Lehmbauten die
Straße, dazwischen lungern einige Menschen herum, die
gelangweilt
ihre ausgemergelten Ziegen bewachen. Und dann bist du eigentlich schon
mitten drin, in dieser Stadt ohne Straßenbeleuchtung und ohne
Straßen, denn hier regiert der Sand. Lediglich einige
wichtige
Straßen sind asphaltiert und zeichnen sich zudem durch
vereinzelte Ampeln (sehr sehr selten) aus. Auch markante
Gebäude
sind eher selten, weshalb man durch Nouakchott hindurch fährt
und
kaum unterscheiden kann, was hier Zentrum und Peripherie ist. Ein
richtiges Stadtzentrum ist ohnehin nicht auszumachen. Ein ranziger,
relativ kleiner Markt gilt zwar als Dreh- und Angelpunkt der Stadt,
kann jedoch dank der total zugemüllten Umgebung und den
verrotteten Gebäuden nicht wirklich als
“City”
herhalten. Dadurch dass Mauretanien so gut wie keine Industrie hat wird
hier alles importiert und natürlich zu dementsprechenden
Preisen
angeboten. Selbst Grundnahrungsmittel sind teuer und wer nach ein
bisschen Luxus verlangt, der sollte sich auf Preise gefasst machen, die
selbst die Schweiz nicht zu bieten hat. Für die reiche
Oberschicht
steht in vereinzelten Supermärkten alles parat. Von Nutella
bis
Marlboro von Lindt-Schokolade bis Hochland-Käse. Für
eine
Tafel Schokolade wird dann aber auch ein Preis von umgerechnet 6 Euro
verlangt.
Auch die erste Nacht in Nouakchott sollte uns die krassen Preise
deutlich vor Augen führen. Auf Einladung eines
Geschäftsfreundes von Nico kamen wir in einem kleinen Hotel
unter.
Eine eher mittelprächtige Bude mit Kakerlaken,
dröhnender
Klimaanlage, brettharten Betten und verrammelten Fenstern. Die Nacht
kostete dort dennoch 50 Euro und als uns die Rechnung für eine
Flasche Wasser, zwei kleine Dosen Bier und ein Glas Wein serviert
wurde, schlackerten uns erneut die Ohren: 21 Euro! Das teuerste Bier
meines Lebens. Aber im direkten Vergleich zur Umgebung und zum
Lebensstandart in Mauretanien befanden wir uns eben schon in der
Luxusklasse, auch wenn diese nie und nimmer irgendetwas mit
europäischen Standards zu tun hatte.
Am nächsten Tag zogen wir um in das Privathaus von
José,
einem spanischen Entwicklungshelfers, den mein Bruder von seinen
verschiedenen Aufenthalten in Mauretanien kannte. Obwohl
José
ein zuvorkommender und netter Gastgeber war, lernte ich hier den Hass
auf die europäische Entwicklungshilfe, die mir ohnehin schon
immer
missfiel. Hier bekam ich anschaulich vorgeführt, wie Europa
sich
in Form der so genannten “Entwicklungshelfer” in
Afrika
gebärdet: Haushälter, Masseurin, Putzfrau, 5
mondäne
Zimmer, ein ausgewählter Weinkeller, alle erdenklichen
Spirituosen, gekühltes Bier, Musik vom Ipod, Kunstwerke der
Einheimischen, Haschisch, Geländewagen und schicke Klamotten.
Zudem organisiert die spanische Botschaft einmal pro Monat einen
Container, der mit Produkten aus der Heimat angefüllt wird,
damit
die Entwicklungshelfer nicht auf ihren europäischen Standard
verzichten müssen.
Und was tut dann die Entwicklungshilfe? Sie versucht die Mauretanier
davon zu überzeugen, dass sich eine Auswanderung nach Europa
nicht
lohnt und dass irgendwann auch Mauretanien am oberen Ende des Reichtums
angelangt sein wird! Tourismusförderung, Demokratie-Kurs und
Schulenbau sollen dafür sorgen, dass die halb verhungerte
Bevölkerung ihre Zukunft in diesem perspektivlosen Land
ausmacht!
Und die Millionen Euro, die so im Land versickern werden
natürlich
von der EU auch nicht ganz umsonst hergegeben. Im Tausch gibt es
Verträge, die gewährleisten, dass die
europäische
Fangflotte vor der Küste Afrikas weiterhin auf Raubzug gehen
können und so zur gnadenlosen Überfischung beitragen.
Also
liebe Schlemmer-Filett-Punks und Iglu-Kids macht euch mal Gedanken wo
eure Nahrung eigentlich herkommt. In Mauretanien sind die Auswirkungen
des europäischen Hungers nach Frischfisch bereits deutlich zu
spüren. Das Meer ist leer und die Fischer nagen am Hungertuch
und
greifen nach jedem Strohhalm. Also warum nicht seine lecke Pirogge an
Menschenschlepper vermieten, die versuchen ein paar ausgehungerte
Glücksritter auf die Kanarischen Inseln, ins gelobte Land, zu
überführen? Und auf diesen ganzen Horror schauen die
Entwicklungshelfer mit einer Pose des “Gutmenschen”
herab,
die schwer zu ertragen ist.
Dementsprechend schäbig kam ich mir daher zunächst
auch vor,
als wir in die harten Verhandlungen über den Autoverkauf
einstiegen. Ich hatte keinerlei Lust als gieriger Geldsack den
Mauretaniern ihre letzten Groschen aus dem Hemd zu leiern. Andererseits
wollten wir unser Auto natürlich auch nicht mit Verlust
verkaufen
oder einem dubiosen Händler vermachen, der letztlich einen
dicken
Gewinn damit einfährt. Zum Glück fanden wir einen
Privatkäufer mit dem wir uns auf den Preis von 2700 Euro
einigen
Konten (2 Tage wurde verhandelt, gescherzt, geredet, Geld
gezählt
und ein Notar gesucht). Mit dem Geld kamen wir - zumindest was die
Hinreise nach Mauretanien betraf - auf Null raus; mehr wollten wir
eigentlich auch nicht.
Mit einer Träne im Auge verabschiedeten wir uns von unserem
treuen
Auto und von Nouakchott. Weiter ging es in den Süden des
Landes,
wo uns der Geschäftsfreund von Nico auf seinen Landsitz
einlud.
Landsitz klingt jedoch hochtrabend, so waren es doch nur eine
Ansammlung kleiner, roh gemauerter Zimmer und ein großes
Zelt,
welche uns in der südlichen Provinz erwarteten. In dieser
Gegend
zeigte sich Mauretanien allerdings auch erst von seiner wirklich armen
Seite. Strom, Wasser, Schule? Alles Fremdworte. Und auch wir
Weißen waren dort eine absolute Ausnahme. Auf unserem Weg zum
Landsitz steuerten wir beispielsweise eine kleinen Ansiedlung an, wo
unser Gastgeber ein paar Freunden ‘Hallo’ sagen
wollte.
Kaum gelangten wir über die Sandpiste in diese Siedlung rannte
uns
schon eine Horde an Kindern hinterher. Sie umringten unser Auto und
standen mit offenem Mund am Fenster. Völlig entgeistert
starrten
sie die blonde Julia an und rätselten, warum ich solch
komischen
Haare habe und seltsame Muster auf der Haut trage. Als ich ihnen meine
Hand reichte zogen sie sich erschreckt zurück und trauten sich
auch nach langem hin und her nur kurz meine Haut zu berühren.
Es
war schön, erschütternd, aufwühlend und
seltsam
zugleich, auf Menschen zu treffen, die in ihrem Leben noch keinen
Weißen gesehen hatten. Auch in einem
“Kindergarten”,
den wir besuchten, waren wir der absolute Hingucker. Wir hatten eine
sehr freundliche und resolute Frau kennengelernt, die in dieser
Einöde versucht den Kindern eine Perspektive zu bieten.
Während die Eltern bei der Arbeit sind oder auf das Vieh
aufpassen, betreut sie - zusammen mit ein paar freiwilligen Helferinnen
- eine Gruppe von etwa 200 Kindern aller Altersschichten. Der
Kindergarten war nicht viel mehr als ein auf Pfosten ruhendes Wellblech
inmitten des Sandes. Keine Sanitären Anlagen, kein Strom, kein
Spielzeug, kein Unterrichtsmaterial oder ähnliches.
Größte Errungenschaft war ein simple Backsteinofen,
der dazu
dient den Kindern mittags jeweils eine Tasse Hirsebrühe
aufzukochen. Für die Unterbringung der Kinder bezahlen die
Eltern
ein wöchentliches “Betreungsgeld” von
jeweils 10 Cent.
Trotz dieser erschreckenden Armut und der fehlenden Infrastruktur waren
wir begeistert von der Initiative und vor allem von den total
motivierten Frauen, die aus Eigeninitiative und ohne staatliche bzw.
kirchliche Unterstützung handeln. Wir
überließen den
Frauen eine gute Summe Geld und versprachen zudem aus Deutschland aus
für Unterstützung zu werben. Diese Hilfsaktion
läuft
langsam an und ist schon jetzt viel versprechend.
Am nächsten Tag ging es dann weiter in Richtung Senegal. In
Rosso
waren wir mit einem Freund verabredet, der meinem Bruder schon einmal
beim Grenzübertritt behilflich war. Das Zoll- und Polizeichaos
in
Rosso ist nicht zu verachten. Grenzstädten hafte ja immer ein
verkommener und krimineller Eindruck an - und da bildete Rosso keine
Ausnahme: Eine schmierige Stadt am dreckig-braunen Senegal-Fluss in der
es geradezu an dubiosen Gestalten wimmelte. Doch dank der Hilfe des
(bezahlten) Fremdenführers verlief alles ziemlich glatt. Wir
überquerten die Grenze ohne nur von einem einzigen Polizisten
angeschaut worden zu sein. Die Überfahrt, die Zollpapier, das
Gestempel und sogar die Verhandlungen über die Weiterfahrt in
einem Taxi übernahm unser wortkarger aber freundlicher Helfer.
Der
Spaß kostete uns zwar 12 Euro, ersparte uns aber gleichzeitig
stundenlanges Gequatsche mit Grenzbeamten, Bestechungsforderungen der
Bullen und penible Zollkontrollen. Innerhalb einer Stunden hatten wir
Mauretanien hinter uns gelassen und befanden uns in einem rumpelnden
und völlig demolierten Taxi in Richtung St.Louis. Dank der
Regenzeit empfing uns Senegal mit einem leuchtenden Grün -
nach
Tagen der grauen Wüste war dieser Eindruck geradezu
überwältigend und begeisterte uns allesamt. Teiche,
kräftige Bäume und grüne Wiesen
säumten unseren Weg
und dazwischen lagen immer wieder winzige Dörfchen mit
traditionellen runden Holzhütten, die sofort das idealisierte
Bild
eines “afrikanischen Dorfes” wach
rüttelten. Auch
St.Louis selbst begeisterte uns mit seiner entspannten Ruhe, den
verwitterten Kolonialbauten und der optimalen Lage zwischen Atlantik
und dem Senegal Fluss. St.Louis ist als Reisedestination beliebt und
bekannt, was allerdings nichts daran ändert, dass die Stadt in
einem rapiden Verfall begriffen zu sein scheint. Nico, der schon
häufig in St.Louis Station gemacht hatte, war geradezu
schockiert
von der immer schlimmer grassierenden Armut. Ganz besonders deutlich
wurde uns dies an einem Strandspaziergang, der uns entlang eines armen
Fischerviertels führte. Der eigentlich traumhafte Strand war
übersät mit Fischköpfen, Tierkadavern und
jeder Menge
Müll. Dazwischen lagen die ursprünglich buntbemalten
Fischerboote, bei denen der Lack abblätterte und die scheinbar
schon lange nicht mehr zum Einsatz gekommen waren. Gefischt wird wohl
nur noch von der europäischen Fangflotte, die wie zum
höhnischer Spott, in sicherer Entfernung vor St.Louis ankerte.
Den
einheimischen Fischern hingegen bleiben die Rest, die wenigen Fische,
die in den überfischten Meeren zurückgeblieben sind
und die
hier - nahe des Strandes - getrocknet werden. Ein wirklich
deprimierendes Bild welches sich hier zeigt. Dazu köstlich
untermalt vom Geruch der verwesenden Fischinnereien und dem Gestank der
getrockneten Fische. Ja auch vor der Küste Senegals fischt die
europäische Union im Tausch gegen Entwicklungshilfe und
sonstige
Projekte. Damit kreiert sie genau der Art von Menschen die sie
eigentlich nicht haben möchte, nämlich genau die
bettelarme
Menschen, die ihren einzigen Auswege in einer Flucht nach Europa sehen
und sich auf lecken Booten in Richtung Kanarische Inseln aufmachen. Die
Flüchtlingsdramen sind bekannt: Unmengen an verzweifelten
Afrikanern ertrinken auf ihrer Flucht oder werden - im gelobten Land
angekommen - sofort wieder abgeschoben. Dass wir auch auf Menschen
trafen, die ihre geflohenen Angehörigen verloren hatten, ist
in
St.Louis bestimmt keine Seltenheit. Ein wirklich ergreifendes und
wutentzündendes Gefühl, wenn man dieser ganzen
Tragödie
plötzlich so nahe ist. Ich fühlte mich nur noch
unwohl, in
unserem Hotel, in dem Restaurant in dem wir aßen und auch in
den
Straßen durch die wir flanierten. Überall schrie
mich die
Ohnmacht und das Gefühl der Mit-Schuld an. Gegen Abend
beruhigte
ich mich etwas und konnte sogar wieder dreckig lachen, als wir in einer
kleinen Bar eine hundsmiserable Trommelgruppe beäugten. Doch
nicht
die dreadlockigen Trommelspacken, sondern vor allem ihre
europäisches Hippiegroupie sorgte für einiges
Getuschel.
Am nächsten Tag ging es weiter zur letzten Etappe unserer
Reise.
Von Dakar trennten uns noch einige Kilometer, die wir in einem
Taxi-Brousse, also einem Buschtaxi zurücklegten. Abermals war
unser Fahrer überaus wortkarg, eigenwillig und stocksteif -
eine
seltsame Unsitte während einer mehrstündigen Fahrt
keinerlei
Gespräch zu führen und permanent der selben miesen CD
zu
lauschen. Wir betrachten also lieber die Landschaft und die
vorbeiziehenden Städtchen. Ein kräftiger Regenschauer
zog
über’s Land und ließ die Natur noch
grüner
erscheinen, als sie ohnehin schon war. Richtig grau wurd’s
dann
allerdings in Dakar, wo wir direkt ins stockende Verkehrschaos hinein
fuhren. Unglücklicherweise reihten wir uns direkt hinter ein
Auto
in die Schlange, auf dessen Dach ein riesiges Netz mit etwa 30
Hühnern festgeschnallt war. Die Viecher waren kurz vorm
krepieren
und sahen wirklich erbärmlich drein. Auch im Inneren der Karre
schienen sich die Hühner zu stapeln, denn der Fahrer
saß mit
Gasmaske am Steuer. Mir wurde richtig schlecht. Aber dass ein Trip nach
Afrika nicht unbedingt für Veganer, Vegetarier und Tierfreunde
geeignet ist, hatte ich mir schon im Vorraus erahnt. Wir waren daher
total von den Socken, als wir in Antonains Haus mit fleischloser Kost
umsorgt wurden. Nach der Stärkung und einem erfrischenden
Bierchen
ging’s gleich ins umliegende Viertel Baobab, eine ruhige
mittelständische Nachbarschaft, die nach dem zentralen
Affenbortbaum (Baobab) benannt ist. Unterwegs schüttelten wir
andauernd Hände und hielten kurze Schwätzchen, nicht
nur weil
wir als Weiße eine Ausnahme in dieser Gegend waren, sondern
vor
allem weil Antonain als Stürmer in der örtlichen
Fußballmannschaften spielt und dementsprechend bekannt ist.
Auf
unserem kleinen Rundgang trafen wir nicht nur allerlei Menschen,
sondern wurden auch Zeuge der sehr lebendigen und faszinierenden
Tradition im Senegal. Obwohl das Land eigentlich muslimisch
geprägt ist (94% der Bevölkerung) sind animistische
Traditionen und Religionen durchaus vorhanden und werden trotz des
Glaubens an Allah gepflegt. Bei unserem Spaziergang trafen wir zum
Beispiel auf eine Gruppe von Männern, die vor dem Baobab-Baum
Opfer niederlegten und dazu sangen. Immer wieder trafen wir auch auf so
genannten “Beifall”, jugendliche Herumtreiber, die
im
Auftrag ihres regionalen Religionsführer Geld erbetteln.
Obwohl
diese - Marabout genannten - Führer als islamische Heilige
gelten,
mischt sich in ihnen animistischer und islamischer Glaube. Und
natürlich auch das schnöde Interesse an Macht und
Moneten,
schließlich erwirtschaften die unzähligen Bettler,
die
für ihre Marabouts auf Tour gehen die ein oder andere
Münze.
Dementsprechend sind Marabouts und Beifall bei strenggläubigen
Moslems und Christen als Scharlatane und Abzocker verrufen.
Traditionelle Rituale die in fast allen Familien vollzogen werden sind
hingegen die Kopfrasur von Neugeborenen und die Beschneidung von
männlichen Kindern Ob die Beschneidung von Mädchen
trotz des
seit 1999 herrschenden Verbots praktiziert wird entzieht sich meiner
Kenntnis.
Am nächsten Tag ging es erstmals in die Innenstadt, wo wir
natürlich sofort im Zentrum des Interesse standen. Unsere
weiße Hautfarbe entpuppte uns als potentielle
Käufer, auch
wenn wir unzählige Male versicherten nichts aber auch gar
nichts
erwerben zu wollen. Besonders beängstigende Ausmaße
nahmen
diese “Verkaufsgespräche” an, als wir uns
in das
große und unübersichtliche Marktviertel begaben und
ab nun
permanent von fliegenden Händlern umschwärmt wurden.
Entspannter ging es da in den etwas entfernteren Gebieten wie Baobab
oder Petit Yoff zu, wo man eben nicht permanent belagert wird und
dementsprechend relaxt durch die Straßen schlendern kann.
Ebenfalls ‘Entspannung pur’ sollte ein Ausflug zur
ehemaligen Sklaveninsel Goree bieten. Das winzige Eiland liegt wenige
Kilometer vor Dakar und ist nur von wenigen Personen bewohnt. Aber
natürlich ist es auch ein Ausflugsziel für Touristen
und
daher wurde man auch hier umschwärmt, belabert und mit Ramsch
versorgt. Dennoch bietet das kleine Inselchen schöne Flecken,
verwitterte Kolonialgebäude und einen bombastischen Blick auf
Dakar. Nichtsdestotrotz waren mir die Besuche in den
‘normalen’ Vierteln, die außerhalb des
touristischen
Interesses liegen, wesentlich lieber. Hier kann man ungestört
das
Alltagsleben beobachten und vielleicht mit Menschen in Kontakt kommen,
die eben nicht nur irgendwelche Armbändchen verscherbeln
wollen.
Besonderen Spaß machte es mit Antonain und seiner Tochter
Caro-Luise durch die Straßen zu ziehen und in Gassen
einzubiegen
in die man sich alleine wohl nie gewagt hätte. Dakar ist
riesig
und bietet das pralle Leben - allerdings blieben uns wenige Tage ehe
wir in ein Flugzeug nach Deutschland krabbeln sollten. Der Trip nach
Afrika neigte sich seinem Ende entgegen, wurde aber zum Glück
mit
einer “Afrika pur”-Erfahrung beendet: dem
Einchecken am
Flughafen.
Von Dakar fliegen die meisten Maschinen mitten in der Nacht ab. Keine
Ahnung was das bringen soll, genug Verkehr und Rummel herrscht ja
schließlich trotzdem. Als wir uns dann 3 Stunden vor Abflug
schon
50 Meter vor dem Flughafen in eine Schlange eingliedern sollten,
verhieß das nichts Gutes. Auch die Menschen um uns herum
waren
schon angepisst und tierisch genervt. Direkt neben uns entbrannte ein
handfester Streit zwischen zwei Senegalesen, der nur durch das beherzte
Eingreifen von Umstehenden nicht eskalierte. Geschubse und
Gedrängel inklusive den pampigen Reaktion von
Verdrängten und
Bedrückten gab es in den folgenden Stunden ohne Ende. Und in
dieser riesigen Menschentraube, die sich im Schneckentempo auf eine
einzige Tür zubewegte, eierten dann auch noch jede Menge
zwielichtige Gestalten herum, die hier versuchten ihre
gefälschten
Banknoten an den Mann zu bringen. Die Situation wurde auch nicht gerade
von den Temperatur begünstigt, welche um diese Uhrzeit
immerhin
noch bei etwa 35 Grad lag. Wir hatten natürlich kein
Trinkwasser
bei uns und zudem noch tonnenschweres Gepäck im Schlepptau.
Nach
etwa anderthalb Stunden erreichten wir den Eingang zum Flughafen und
wurden von müde glotzenden Bullen nach unseren Flugpapieren
gefragt. Bevor noch irgendwie lamentiert werden konnte gaben wir uns
einen Ruck und drängelten uns durch diese Kontrolle. Dann
standen
wir eine weitere Stunde am Check-In an und gelangten zur Passkontrolle,
als unser Flug offizielle hätte starten sollen. Eine dicke
Afrikanerin schob mich mit ihren gigantischen Brüsten vor sich
her
und ehe ich mich versah hatten wir nach etwa 3 Stunden sowohl Check-In,
die Passkontrolle, als auch die Zollabfertigung absolviert. Auf das so
genannte ‘Bording’ warteten wir dann noch einmal 45
Minuten, bevor unser Flugzeug mit beachtlicher Verspätung in
Richtung Deutschland abhob.
Das Abenteuer Afrika war damit abgeschlossen. Ein unglaublicher,
beeindruckender, anstrengender, bewegender und faszinierender Trip lag
hinter uns, auf dem ich zwar keine Punks getroffen, aber sehr viel
gelernt habe. Afrika hat mich nachhaltig beeindruckt und die
gesammelten Erfahreungen unterstreichen einmal mehr meine Ablehung der
europäischer Gesellschaft und ihrer Politik. Denn nicht die
Armut
Afrikas ist ein Skandal, sondern der Reichtum und die Ignoranz Europas.
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