LOS DOLARES (Venezuela)

Du und Erickson waren früher Skater. Wie kamt ihr dann mit Punk in Berührung und was war das Faszinierende daran?

Wir kamen mit Punk in Berührung, weil unsere Skateboard Freunde Punk Musik hörten und uns ein paar CDs ausgeliehen haben. Sie hörten ausserdem Hip Hop und Metal, aber Punk war eben das, was wir am meisten mochten. Ich habe mir auch einen Haufen an Sachen aus dem Internet heruntergeladen und einge Texte gelesen, die mir sehr gefallen haben. Ich denke, das war es, was uns dann wirklich mit Punk infiziert hat. Die Einstellung und die Texte von manchen Bands wie CRASS und DEAD KENNEDYS. Ausserdem fanden wir LA POLLA grossartig... und selbst wenn wir mit vielen Dingen, für die diese Bands stehen nicht übereinstimmen, so waren sie doch sehr wichtig für uns. Ich finde, dass Punkmusik einfach super klingt, wenn dann noch eine nette Idee damit verbreitet wird, dann ist es eben noch viel besser. Es ist spitze einen Song zu hören, der dich dazu einläd, etwas zu lesen und etwas neues zu lernen.

LOS DOLARES habt ihr vor ein paar Jahren gegründet. Hatte ihr schon immer den Gedanken eine Anarchopunk Band zu gründet, oder wie hat alles angefangen?

Bevor es LOS DOLARES gab haben Erickson, sein Bruder und ich in einer Just-For-Fun Band gespielt. Wir haben einfach Covers von Bands gespielt, die wir gerne mochten. Doch dann war der Einfluss von APATIA NO einfach zu gross. Wir lieben wirklich was diese Jungs/Mädchen geschaffen haben und so entschlossen wir uns ein Projekt zu starten, welches die selben Ideale verfolgt. Also waren LOS DOLARES schon von Anfang an eine Anarchopunk Band. Als wir mit dem spielen begannen, haben wir auch begonnen über Anarchismus zu lesen. Und mit der Zeit haben wir versucht immer mehr theoretische und praktische Fortschritt mit dem Anarchopunk zu machen. Wir wurden ein Teil des Anarchokollektiv und engagierten uns in der lokalen Bewegung. Wir lernten viele neue Freunde kennen und liessen das Skateboarden erstmal an zweiter Stelle. In der anarchistischen Szene gab es eine wunderbar positive Energie, die uns mit all diesen Ideen in Liebe fallen liess. Ich sehe es als Prozess und es ist super zu sehen, dass du und dein bester Freund all diese Dinge gemeinsam entdecken. Ich glaube für den Anarchismus ist die Verbindung zwischen Aktivismus und Freundschaft sehr sehr wichtig.
Von welchen Bands seid ihr beeinflusst?
Wahrscheinlich sind die Haupteinflüsse APATIA NO, CRASS, DEAD KENNEDYS und LA POLLA RECORDS. Später haben wir dann einige andere Bands für uns entdeckt. Im Moment lieben wir vor allem DIOS HASTIO, PARAGRAF 119 und AUS-ROTTEN.

Viele der Latino Bands sind äusserst antiamerikanisch. Was ist deine Meinung zu diesem Thema? Ich denke, jedes kapitalistische Land würde genau so handeln, wenn es in der Machtposition der USA wäre. Ich glaube, dass nicht die USA sondern der Kapitalismus ansich unser Angriffziel sein sollte.

Da stimme ich mit dir völlig überein - und ich finde, dass das ein sehr wichtiges Thema ist. Viele Leute in ganz Süd Amerika hassen (sie sagen es zumindest) den American Way of Life. Allerdings sehen sie nicht, dass dieser Lebenstil aus der kapitalistischen Mentalität geboren wird. Wir müssen also diese Mentalität angreifen und nicht die Menschen...

Wie kamt ihr mit der anarchistischen Bewegung in Kontakt? Habt ihr euch schon für solche Ideen interessiert, bevor ihr etwas von Punk wusstet?

Wir gingen auf Anarchopunk Konzerte und kamen dort mit Anarchisten in Kontakt. Es war so genial zu sehen, wie dort Fortschritte gemacht wurden, weil nette Leute sich wirklich engagierten und wirklich etwas verändern wollten. Das gefiel uns besonders. Zuerst kamen wir allerdings mit Punk in Berührung, doch die anarchistischen Ideen waren es, die den Unterschied machten. Punk kann (für manche Leute) nur Mode oder eine Musikrichtung sein - und das ist es was die Ma$$enmedien uns glauben machen wollen - doch als wir den Anarchopunk für uns entdeckten, sahen wir, dass Punk ein Way-of-Life sein kann und das ist schliesslich das schönste an Punk.

Wie ich weiss, haben eure Familien überhaupt nichts mit anarchistischen Gedanken am Hut - was denkst du war der Hauptgrund so zu werden wie du bist?

Ich hatte da nicht wirklich eine Wahl. Ich fühlte mich einfach toll, wenn ich mit der anarchistischen Bewegung zusammen arbeiten konnte und als ich immer tiefer in diese Bewegung einstieg, begannen die Probleme mit meiner Familie. Aber jetzt habe ich ja eine neue: meine Freunde Erickson und Miguel.

Dein Vater war ein hohes Tier bei der Armee - wann hast du bemerkt, dass irgendwas mit dem Militär nicht in Ordung ist?

Mein Burder wollte immer zur Armee gehen ... aber er hat es nie geschafft. Meine Eltern haben mich als Kind immer mit in die Kirche geschleppt, doch später musste ich feststellen, dass ich Atheist bin. Das Militär konnte ich allerdings noch nie leiden. Ich mochte es mit meinem Vater in diesen Armeebooten herumzufahren und all so ein Zeug, doch ich hasste schon immer diese Karrieren, Dienstgrade, Ordung, etc... So wie schon Orwell in seinem Buch 1984 bemerkte: Macht ist wie ein Stiefel, der immer wieder durch ein Gesicht stapft. Ich glaube ich habe angefangen die Armee zu hassen, als mein Vater begann mir und meinem Bruder genauso beschissenen Befehle zu geben wie seinen Soldaten. Das Wort 'Bitte' war ein Fremdwort für ihn. Er war derjenige, der uns ernährte und uns einen Platz zum Leben gab, also mussten wir seine Sklaven sein oder uns einen anderen Platz zum leben suchen. Das ist der Grund, warum ich bei meinen Eltern ausgezogen bin. (Anm.: das ist übrigens eine ziemliche Seltenheit in der Gesellschaft Venezuelas - Kinder bleiben fast immer im Hause der Eltern bis sie selber heiraten!!)

Erzähl doch mal etwas über die heutige Beziehung zu deinen Eltern. Ich weiss, dass dein Vater nicht an die Dinge glaubt, die du tust. Denkst du er ist sehr enttäuscht über deinen Lebensstil?

Ich denke schon, dass er das ist - doch ich bin glücklich mit dem was ich tue. Er hat mir angeboten, dass ich zurück kommen kann und nicht arbeiten brauche. Später könnte ich dann seinen Platz an der Universität übernehmen (er hat bei der Armee aufgehört uns ist nun Dozent an der Univeristät). Aber ich will nicht diese Art von Leben. Ich will lieber für mich selber Arbeiten und in meinem eigenen Heim leben. Ich möchte einfach sehen, dass ich selber über mein Leben bestimmen kann. Ich glaube das Leben lohnt sich nur, wenn man an seinen Träumen arbeitet. Und mein Traum ist es eine neue Gesellschaft aufzubauen.

Du arbeitest am EL LIBERTARIO einer anarchistischen Zeitschrift mit. Bitte erklär den Lesern um was es sich dabei handelt und was die zukünftigen Projekte des EL LIBERTARIO sind. Gib bitte auch Kontaktaddressen und Spendekontos an.

EL LIBERTARIO ist eine anarchistische DIY Zeitung, die vom anarchistischen Kollektiv (CRA - Comité de Relaciones Anaquistas) betrieben wird. Wir sind auch damit beschäftigt anarchistische Treffen, Videovorführungen, Anarchopunk Konzerte und ähnliche zu verwirklichen. Im Moment sind wir damit beschäftigt ein LIBERTARIAN SOCIAL CENTER mit einer anarchistischen Bibliothek zu eröffnen. Für genauer Information schaut euch mal www.nodo50.org/ellibertario/ellibertario/ an.

Die Gesellschaft Venezuelas scheint nicht sonderlich interessiert an anarchistischen Ideen. Fühlst du dich nicht oft verloren und enttäuscht? Was tust du um optimistisch zu bleiben?

Die Leute in Venezuela waren schon immer apathisch. All das Geld wurde von den zwei wichtigsten Parteien geraubt, als die Diktatur zusammenbrach. Und die Leute glauben trotzdem noch, dass ausgerechnet diese Parteien, die alles gestohlen haben was sie bekommen konnten, alle Probleme lösen werden. Aber die anarchistische Politik ist eine andere Form der Politik. Wir haben nichts mit Parteien zu tun und glauben nur an die Selbstorganisation und eine horizontale Gesellschaft - das ist der grosse Unterschied. Jedes mal, wenn wir über Anarchismus reden oder ein Konzert veranstalten, ist da mindestens eine Person, die sich interessiert zeigt. Und das ist schon sehr motivierend. Zu sehen, dass nur eine einzige Person einen etwas kritischer Sichtweise auf das Leben entwickelt, ist schon grossartig.

Ich habe ja selbst erleben dürfen wie ignorant und dumm viele Leute in Caracas sind... aber erklär den Lesern bitte deine eigene Meinung über die Brutalität und die Ignoranz. Welche Erfahrungen hast du mit diesen Leuten gemacht?

Caracas ist wirklich eine sehr gewalttätige Stadt und es gibt wahnsinnig viele Vorurteile in der Gesellschaft. Es ist sehr schwierig mit einem Irokesen und gefärbten Haaren durch die Strassen zu laufen, doch ich sehe es als einen Angriff auf die Vorurteile und die Ignoranz der Menschen. Trotzdem ist es natürlich super beschissen die ganze Zeit angegriffen zu werden, wenn man sich auf der Strasse bewegt - es ist als ob man in einer prähistorischen Zeit leben würde. Ich glaube, dass die Gesellschaft einen grossen Mangel an Kultur hat - der Hauptgrund dafür ist, dass die Wirtschaft Bildung, Kultur und medezinische Versorgung zu Privilegien gemacht hat. Aber wir kämpfen dafür, das zu ändern, hahaha.

Ein andere wichtiger Faktor in der Gesellschaft ist die Gewalt. Was sind deine Erfahrungen mit Gewalt? Besonders interessiert mich deine Meinung zu den Waffen.

Gerade vor ein paar Tagen, hat ein Typ in einem Auto dumme Kommentare über mein Aussehnen gemacht. Als er anhielt, bin ich zum Auto gerannt, weil der Kerl ja offenbar Streit suchte. Er zog eine Pistole und hat auf mich geschossen. Zum Glück hat er mich verfehlt. Es ist wirklich schrecklich, dass hier so gut wie jeder eine Pistole besitzt. Jede Woche sterben deswegen unzählige Leute. Die meisten Leute lösen ihre Probleme nicht durch Gespräche oder Prügelleien sondern durch Schiessereien. Das ist wirklich schlimm.

Das interessante in Venezuela ist, dass es aufgrund des Öls eigentlich ein sehr reiches Land ist. Trotzdem kann man täglich die armen Menschen sehen, die auf der Strasse schlafen müssen. Erklär uns bitte, wo all der Reichtum verschwindet und warum es nicht mehr soziale Gerechtigkeit in Venezuela gibt.

Venezuela kommt von einer Diktatur, die von den reichen Leuten des Landes, die später die zwei bedeutendsten Parteien gründeten, gestürzt wurde. Die zwei Parteien haben das Land ausverkauft und mit Schulden gefüllt. 49% des Einkommens von Venezuela geht direkt an die IMF und die Weltbank. Und es ist kein Geheimnis, dass die Diebe in den politischen Parteien versuchen zu stehlen, was dann noch übrig ist. Es ist eine sehr verbreitete Mentalität... die meisten Menschen bringen ihren Kindern bei, die Dinge auf die 'mantequilla' (einfache) Art zu erreichen. So werden sie mit einer parasitären Einstellung erzogen.

Wenn ich mit Freunden über Latein Amerika spreche, dann wollen sie immer wissen wie es mit der Repression von Seiten der Polizei aussieht. Was weisst du darüber? Müssen sich Punks vor der Polizei in Acht nehmen?

Vor einigen Jahren, war es noch ein absolutes Verbrechen gefärbte Haare oder Spikes zu haben. Frauen wurden als Nutten beschimpft und Männer wurden oft von der Polizei verprügelt, weil sie nicht in deren Machobild passten. Also ist das wirkliche Problem eigentlich die Macho-Mentalität. Vor eine Woche wurde ein Freund von uns in den Knast gebracht, weil er Pierciengs im Gesicht hatte und Punk Klamotten trug. Sie behaupteten er habe die öffentliche Ordung gestört. Es ist also immer noch gefährlich als Punk durch die Strassen zu laufen.

Nun, ein anderes Süd Amerika Klischee ist das Macho-Syndorm. Hast du irgend eine Ahnung, warum Latein Amerika derart von Männern beherrscht wird?

Ich verstehe einfach nicht, warum das nicht schon längst verschwunden ist. Alle Frauen mögen es anscheinend so behandelt zu werden. Die Männer sollen für das Essen sorgen und sie heiraten, damit sie ein Leben als Sklavin in der Küche vor sich haben. Und die Männer sehen das als ihre Verantwortung - es ist einfach ein Teufelskreis. Ich glaube, dass Männer und Frauen lediglich durch ihre Anatomie verschieden sind - beide sollten die gleiche Teilnahme in der Gesellschaft haben. Es ist wirklich normal in Latein Amerika, dass die Frauen von ihren Machotypen wie Sklaven behandelt werden. Und ihre Mütter bringen ihnen dann auch noch bei, wie man sauber macht, auf die Kinder aufpasst und dem Ehemann ein tolles Essen kocht. Für die Frauen ist das Ziel einen reichen Mann zu finden, der ihr ein gutes Leben garantiert. Es ist wirklich genauso beschissen wie es klingt.

Du bist in der Vergangenheit nach Kolumbien gereist. Ich denke es ist sehr wichtig in andere Länder zu reisen um die positiven und negativen Aspekte des eigenen Landes zu erkennen. Und da wir schon die ganze Zeit über die negativen Dinge sprechen, möchte ich nun gerne wissen, was die schönen Seiten von Venezuela sind.

Ich liebe die genialen Strände und Landschaften in den Venezuela - doch als ich in Bogotá war, wollte ich wirklich nicht zurückkehren. Es ist eine grossartige Stadt und die Leute behandeln dich sehr freundlich. Niemand zeigt mit dem Finger auf dich, nur weil du einen anderen Haarschnitt hast. Es ist eine super Stadt.

Okay, lass uns zurück zu deiner Band kommen. Ihr werdet in halb Süd Amerika auf Tour gehen. Erklär den Leser bitte, wie ihr diese Tour organisiert habt und wo sie euch hinführen wird.

Wir wollten schon immer nach Chile gehen, weil wir dort viele Freunde in der anarchistischen Bewegung haben - wir helfen uns schon seit langer Zeit gegenseitig. Weil ein Flug nach Chile viel zu teuer ist, hatte Ruben, ein anderer Freund aus Peru die Idee eine Süd Amerika Tour zu organisieren, auf der anarchistische Themen diskutiert, Videos gezeigt und Konzerte gespielt werden sollen. In Kolumbien haben wir auch Freunde in dem anarchistischen Kollektiv BANDERAS NEGRAS und in Ekuador hilft uns die Band RETAQUE. In Peru zeigt sich als Ruben vom Takana Zine verantwortlich und in Chile hilft uns die Band SIN APOYO und die Leute vom SDTT Fanzine. Später schrieben uns immer mehr Anarchisten und Freunde, die uns auch helfen wollten. Im Moment sieht es so aus, als ob es eine grossartige Tour werden würde. Wir nehmen nur ein paar Kleider und einen Haufen an anarchistischen Materialen mit uns. Von Chile aus werden wir nach Deutschland reisen, um von dort aus die anarchistische Szene Europas zu erkunden.

Habt ihr irgend eine Ahnung, was euch in Europa erwartet? Vor was habt ihr Angst und auf was freut ihr euch?

Wir werden mit viel Hoffnung und ohne Geld nach Europa kommen. Wir hoffen, dass wir ein nettes Squat finden, von welchem aus viele Aktivitäten möglich sind. Ich könnte mir vorstellen ein Aufnahmestudio für DIY Bands aufzubauen.
Wir sind sehr traurig, weil wir all unsere Freunde zurücklassen müssen und wir kennen ja auch kaum Leute in Europa. Aber wir sind sicher, dass wir dort eine Menge erleben können, viele Aktivitäten mit der anarchistischen Szene durchführen können. Ausserdem sind wir an allen kulturellen Dingen interessiert.

DESKONTENTO RECORDS ist euer eigenes Label. Erzähl doch etwas über eure Veröffentlichungen, eure zukünftigen Projekte, eure Ideene und Einstellungen.

Zuerst haben wir einen Livetape von LOS DOLARES und 11011, welches auf dem dritten Anarchopunk Treffen mitgeschnitten wurde, veröffentlicht. Dann haben wir etwas Geld gespart und 10 Songs für ein zweites Tape von LOS DOLARES aufgenommen. Vor ein paar Tagen haben wir einen internationalen Anarchopunk Sampler veröffentlicht, dessen Gewinn an das Libertarian Social Center gehen wird. Demnächst veröffentlichen wir die Split-EP von LOS DOLARES und DONA MALDAD. DESKONTENTO ist ein non-profit DIY Anarchopunk Label. Ausserdem vertreiben wir Anarchistische Literatur, Fanzine, Videos und Tonträger. Wir sind selbstorganisiert und bilden somit ein alternatives, unabhängiges Medium.

Okay, danke für das Interview.