PARAGRAF
119 (Denmark)
Ich
kenne nur die ganz alten dänischen Punkbands von Ende der
70iger
Anfang der 80iger. Gruppen wie CITY X, SODS, LOST KIDS, KALASHNIKOW. Im
Jahr 2000/2001 gibt es PARAGRAF 119 und GUDDOMMELIG GALSKAB. Aber was
passierte in all den Jahren die dazwischen liegen? Gebt mir ein paar
Auskünfte über die Punkszene Dänemarks.
Du
hast recht,
in der dänischen Punkszene ist es eine grosse Misere, dass die
Bands im Ausland so gut wie unbekannt sind. In den 80igern gab es viele
Bands aus dem ganzen Land. Aus Städten wie Odense,
Ålborg,
Århus ... eben nicht nur aus Kopenhagen. Jeder veranstaltete
Konzerte in seiner Gegend, spielte oft und machte Aufnahmen. In den
90igern starben solche Sachen bis auf die Szene in Kopenhagen aus und
die Leute verloren das Interesse und verliessen schliesslich die Szene.
Die wenigen jüngeren Leute mussten nochmal ganz von
vorne
anfangen. Es gab einige wirklich gute Bands wie
GRÆNSEOVERSKRIDENDE NAIVITET, PRESIDENT FETCH, SLIGHTLY
ANNOYED
(um nur mal ein paar zu nennen), die Platten aufnahmen und oft
spielten. Allerdings wurden von den Scheiben immer so wenig gepresst,
dass ausserhalb Kopenhagens bzw. Dänemarks damit keine
Aufmerksamkeit zu erregen war. 1991 begann das Undergund På
Hjul
(ein Kollektiv Kopenhagener Bands) kleine Benefitskonzerte zu
veranstalten, um eine kostenlose (d.h. freier Eintritt) Tour mit DK zu
veranstalten. Die Tour endete in Christiania (Kopenhagen) wo seit dem
jedes Jahr ein kostenloses Festival mit regionalen und internationalen
Punk und Hardcore Bands statt gefunden hat. Zum Glück habe
sich
jedoch in letzter Zeit einige Dinge geändert.
dänische Bands
haben seit kurzem etwas mehr Aufmerksamkeit erhalten. Einige haben
schon Platten veröffentlicht und für längere
Zeitabschnitte in Europa getourt. Natürlich ist die Szene
immer
noch auf die Hauptstadt fixiert, aber in den letzten Jahren sind auch
wieder Bands aus den kleineren Städten aufgetaucht. Wenn man
Glück hat, dann kann man mittlerweile Shows in Roskilde,
Svendborg
und Ålborg spielen. Hier nun einige Bands, bei denen es sich
lohnt hinzuhören: ADH, AMDI PETERSENS ARMÉ, ASEBIA,
GORILLA
ANGREB, INCONTROLADOS, LACK, LOKUM, SLAVE, SNIPERS, URO, YOUNG
WASTENERS... einige dieser Bands haben bereits Aufnahmen
veröffentlicht, die anderen planen es für die nahe
Zukunft.
Schreibt uns, wenn ihr Informationen über die Bands oder alles
andere, was euch an der dänischen Punkszene interessiert,
braucht
... aus Vergangenheit und Gegenwart.
Ihr
spielt häufig in Deutschland. Gibt es irgendwelche
Unterschiede
zwischen der deutschen und der dänischen Punkszene? Welche
Aspekte
der deutschen Szene könnt ihr nicht leiden?
Der
Hauptunterschied zwischen der dänischen und der deutschen
Szene
scheint zu sein, dass die Leute in Deutschland dazu neigen
länger
dabei zubleiben, wohingegen in Dänemark
hauptsächliche junge
und nur sehr wenige alte Leute dabei sind. Der Grund dafür
könnte sein, dass die dänische Szene so klein ist -
insgesamt
sind es vielleicht 300 oder 400 Leute. Das bedeutet, dass jeder jeden
kennt, oder man zumindest voneinander gehört hat. Man
hängt
ständig mit den selben Jungs/Mädels/Freunden/Feinden
herum.
Das führt dazu, dass sehr viele persönliche
Differenzen,
Probleme und Beziehungen in Dinge hineingezogen werden, bei denen sie
aussen vor bleiben sollten. Sowas wandelt sich schnell in die
allergrösste Scheisse. Daher habe viele Leute einfach die
Schnauze
voll, verschwinden und kommen nicht wieder. Das ist traurig.
Wir
haben, wenn
wir in Deutschland spielen jedes mal sehr viel Spass, doch wir wissen
von unseren Freunden, dass die Szene wohl unter den selben Problemen
leidet, wie die dänische. Eine Haufen supertoller
Scheissdeppen,
die denken Anarchie sei das selbe wie Chaos und die glauben als Punk
müsste man sich kaputt saufen und nichts anderes. Einige Leute
haben keinen Respekt vor Hausbesetzern, denken es sei toll ohne zu
bezahlen reinzukommen und an der Bar zu bescheissen. Sie verarschen und
machen alles kaputt, was Aktivisten, die sich den Arsch abarbeiten (und
zwar für umsonst) um zu versuchen eine Alternative zu
schaffen,
aufbauen.
Dänemark
hat eine Monarchie. Hat die königliche Familie noch Einfluss?
Zum
Beispiel auf das Moralverständnis oder ähnliches?
Der
Einfluss ist
natürlich gering. Dennoch muss die Königin zum
Beispiel immer
noch die Regierung nach den Neuwahlen anerkennen. Die
Königsfamilie steht ausserhalb des Gesetztes, was bedeutet,
dass
sie selbst entscheiden ob vor Gericht vorgegangen wird oder
nicht. Es gab einige Vorfälle mit dem rücksichtlos
und
besoffen fahrenden Kronprinzen ... es liegt aber immer an der
Königin ob verfahren wird oder nicht. Bisher hat sie sich
dgegen
ausgesprochen. Ausserdem haben die Menschen die für die
Königin arbeiten nicht die gleichen Rechte und Privilegien,
welche
die sonstigen Arbeiter in Dänemark geniessen. Sie kann ja
nicht
vor Gericht gestellt werden, also auch nicht vor das Arbeitsgericht.
Wie auch immer, der Einfluss auf die Moralvorstellung ist bei weitem
das schlimmste. Und ständig läuft sie mit Pelzen und
Zigaretten durch die Gegend. Sie lässt sich auch ohne einmal
zu
hinterfragen von der Industrie und den Arbeiterverbänden
benutzen,
die neue Märkte in Burma, China oder sonstigen
Ländern mit
brutalen Regimen, erschliessen wollen.
Ihr
hab den Song ‘Fuck Denmark’. Welche Aspekte des
Landes in dem ihr lebt, mögt ihr?
Nun,
Dänemark ist okay für die Leute die hier leben. Wir
haben
eine Sozialversicherung - selbst wenn sie von Gesetzen begleitet wird,
die dir das Recht auf das Geld nehmen, sobald du nicht mehr Arsch
kriechst oder das tust, was dir gesagt wird. Wir haben auch
Krankenhäuser, die durch Steuern finanzierte sind (mit
Wartelisten
von Monaten – manchmal Jahren), Bücherreien und all
so ein
Zeug. Das Problem welches wir mit Dänemark haben, ist sein
Einfluss auf andere Staaten, wenn es darum geht Flüchtlinge
und
Leute die eine bessere Zukunft suchen, aus dem Land fern zu halten. Der
Song ‘Fuck Denmark’ handelt vom wachsenden
Nationalismus
und Rassismus, welcher aus der erfolgreichen Strategie der Rechten und
der völlig überzogenen Angst von ‘radikalen
Moslems
überrannt zu werden’ resultiert. Es beleuchtet die
Dinge,
von denen wir denken, dass sie das Feuer der Intoleranz und des
Rassismus am brennen halten.
Allerdings
gibt
es wesentlich schlimmere Länder als Dänemark. Die
Polizei
hier hat keine Plastikgeschosse oder Wasserwerfer - wenn sie auch
dafür bekannt ist, dass sie mit echter Munition auf
Demonstranten
und Hausbesetzer geschossen hat (18. Mai 1993 und der Kampf in Rygsgade
1986) und mehere Leute umgebracht hat.
Das
System
‘funktioniert’ besser als in den meisten anderen
Ländern und verhungern tut hier sowieso niemand. Die Rechte
der
Arbeiter werden respektiert und mehr als 80% der Arbeitskräfte
sind in Gewerkschaften organisiert. Andererseits haben wir ein paar
total kranke,rassistische Gesetze – und die werden in Zukunft
noch mehr werden. Der Innenminister hat unter anderem vorgeschlagen
kriminelle Immigranten auf Gefangeninseln zu bringen. Wenn die Leute im
Ausland von sowas wüssten, dann müssten sie kotzen.
Man muss
lange suchen um ein intoleranteres Land als Dänemark zu finden.
Ihr
unterstützt ANARCHIST BLACK CROSS. Erzählt mir von
eurer
Beteiligung. Gab es irgend ein auslösendes Ereignis, welches
euch
veranlasste ABC zu unterstützen? Welche anderen
politischen
Organisationen werden von euch gefördert, oder würden
es
zumindest verdienen?
Es
gab keine
bestimmten Auslöser für unsere Beteiligung an der
Unterstützung von ABC. Wir finden das ist eben eine wichtige
und
nützliche Organisation. Einige von uns sind in der
Niederlassung
Kopenhagen beteiligt, die es noch gar nicht so lange gibt –
bisher waren die Aktionen hauptsächlich auf die finanzielle
Unterstützung politisch Gefangener in Dänemark
beschränkt. Das Geld was wir mit unserer Mini-LP verdient
haben
(bisher 2000 DM) wurde dafür verwendet. Wir glauben, dass jede
Organisation oder Bewegung die sich mit Antifaschismus, Antisexismus,
Antikapitalismus, Tierbefreiung oder Ökologie befasst eine
berechtigte Existenz hat. Politische Partein, marxistische
Betrüger und pseudorevolutionäre Gruppen wie ATTAC
können sich hingegen verpissen.
Ein
Grossteil der deutschen Nazimusik und auch gedrucktes
Propagandamaterial wird in den skandinavischen Ländern
produziert
– eben auch in Dänemark. Sollten sich nicht die
deutschen
und die skandinavischen Antifaschisten verbünden, um dagegen
vorzugehen? Habt ihr Kontaktadressen antifaschistischer Gruppen und
Organisationen?
Es
gibt schon
eine ziemlich gute Zusammenarbeit zwischen antifaschistischen Gruppen
in Skandinavien und Norddeutschland. Da wir nicht die ganze Zeit in
ganz Europa herumreisen können um diese Ratten zu
bekämpfen,
müssen wir uns eben geografisch beschränken. Die
dänischen Antifaschisten zeigen in Norwegen, Schweden und
Norddeutschland Präsenz – in Süddeutschland
sollte man
sich mit den Leuten aus Österreich, Frankreich, Belgien und
der
Schweiz in Verbindung setzen.
Das
Problem mit
dem Vertrieb von Nazipropaganda ist, dass es hier vom Gesetz
geschützt ist. Das bedeute natürlich nicht, dass man
sie ihre
Hass-Werbung machen lassen soll – das Zeug wird eben
hergestellt
und wir müssen versuchen mit unseren internationalen
Verbindungen
beim Kampf dagegen zu helfen. Auf der Homepage der dänischen
AFA
(www.antifa.dk) findet man Links zu antifaschistischen Organisationen
aus Dänemark, Norwegen, Schweden und Finnland.
Ihr
kommt aus Kopenhagen. Ich habe schon zahlreiche Gerüchte
über
diesen ‘Anarcho-Bezirk’ gehört. Was ist
denn wirklich
dran an diesen Geschichten – Wahrheit oder alles dumme
Märchen?
Es
gibt ein
Gebiet in Kopenhagen, welches Christiania heisst. Das waren
ursprünglich ein paar verlassene Militärbaracken die
vor 27
Jahren von Hippies besetzt wurden. Die Regierung erlaubte es den
Besetzern zu bleiben und nannte das dann ‘soziales
Projekt’. Mittlerweile ist das zu einer kleinen Stadt
innerhalb
Kopenhagens herangewachsen. Auch die hohen Ideale und Ideen sind im
laufe der Zeit verschwunden. Jetzt ist der Bezirk eine
Touristenattraktion und hauptsächlich für den Handel
mit
Haschisch (was ja in Dänemark illegal ist) bekannt. Trotzdem
gibt
es dort noch einige gute Orte und Leute. Es gibt noch einen anderen
Bezirk Kopenhagens der Nørrebro heisst. Wir leben fast alle
da
und dort liegt auch das Ungdomshuset (ein altes Squat – dort
trifft sich die DIY Szene). Hier leben viel Einwanderer und die Nazis
trauen sich hier nicht hin. Nørrebro war früher ein
Arbeiterviertel mit vielen sehr billigen Wohnungen –
mittlerweile
ist es aber fast unmöglich eine Wohnung zu finden, die man
bezahlen kann. Es ist wahr, wenn es in Kopenhagen Unruhen gibt, dann
geht das immer von Nørrebro aus. Es war auch der Bezirk in
dem
die Polizei 1993 während einer Strassenschlacht 13 Anti-EU
Demonstranten beschoss. Der McDonalds der am häufigsten in der
ganzen Geschichte der Fast-Food-Kette zerstört wurde, liegt
auch
in Nørrebro. Der Bezirk hat eine lange Geschichte des
Ungehorsams. Allerdings ist es weit überzogen das als
Anarchoviertel zu bezeichenen. Es wird hier von Tag zu Tag
mondäner.
Erzählt
mir bitte, was sich hinter eurem Bandnamen verbirgt.
Paragraf
119 ist
der Abschnitt ‘Gewalt oder Bedrohung von
Amtspersonen’. Wir
haben den Namen für die Band gewählt, weil das der
Punkt ist
an dem jeder Anarchist oder antiaurotitäre Aktivist ankommt
und
sich die Frage stellen muss, ob er das auf sich laden kann oder nicht.
Wie weit wirst du gehen?
Denkt
ihr es ist ein Muss politische Ideen oder Ansichten durch Musik zu
präsentiern? Was haltet ihr von Bands, die ihre Texte nicht
dazu
benutzen um etwas auszusagen?
In
einer Band zu
sein, Aufnahmen zu veröffentlichen und live zu spielen ist
eine
grossartige Möglichkeit um eine Message zu verbreiten
– wir
denken definitv das es eine wirkliche Schande diese
Möglichkeit
nicht zu nutzen oder sich überhaupt keine Gedanken
darüber zu
machen. Versuch dir nur mal vorzustellen jemand wie Britney Spears
hätte wirklich etwas zu sagen – sie hätte
Millionen von
Leuten auf der ganzen Welt, die ihr zuhören würden...
oder
denk an all die sogenannten Alternative Bands wie f**k KORN –
wenn die mal versuchen würden den Leuten die Augen zu
öffnen
anstatt sie dazu zu bringen Adidas Klamotten zu kaufen... Leider ist
solche Art von Musik lediglich eine leere Hülle –
hirnlose
Unterhaltung die von Anzugträgern gesteurt wird um
möglichst
viel Geld zu verdienen. Das ist der Punkt an dem Punkmusik zu einer
Alternative zu all dem Schrott werden sollte. Aber zu deiner Frage: wir
können es nicht verstehen, wie man sich selbst als Punkband
bezeichnen kann, ohne etwas auf dem Herzen zu haben –
irgendwelche Ideen, seien es politische oder persönliche Dinge
– die du mit der Welt teilen willst und von denen
du
hoffst, dass die Menschen zumindest ein bisschen darüber
nachdenken. Zu den Bands, die ihre Möglichkeit nicht ausnutzen
etwas zu sagen. Es kann als Entertainment okay sein – aber es
wird nie mehr sein als das.
Irgendwelche
Schlussworte?
Denkt
daran euch
beim EU Gipfeltreffen in Gothenburg, Schweden und in Barcelona zu
zeigen. Zeigen wir den Schweinen mal, was anarchistischer Widerstand
bedeuten kann...