PINOCHET
BOYS (Chile)
Zunächst
vielleicht die wichtigsten Daten. Wie alt bist, wo bist du geboren,
aufgewachsen, etc?
Ich
bin 38, in Santiago de Chile geboren, und auch in Santiago aufgewachsen.
Wann
und wie bist du mit Punkmusik in Berührung gekommen? Gab es
damals
Kontakte der anderen Latein Amerikanischen Punkszenen untereinander?
Hatte ihr Ahnung was in Lima und Buenos Aires von statten ging? Was
waren damals die wichtigsten/beliebtesten Bands?
1983,
nach der
Schule, habe ich angefangen, Punk und New Wave zu hören mit
Leuten, die aus dem Exil zurückkamen. Ich habe mich immer
für
Musik interessiert. Meine erste Platte kaufte ich mit 8 Jahren. Von
Punks wusste ich nur das, was ich in europäischen Magazinen
gelesen hatte, die ebenfalls dieselben Leute mitgebracht hatten oder
andere, die es sich leisten konnten, zu reisen, und die uns
natürlich alles erzählten, was sie gesehen hatten.
Den ersten
Punk, ausser mir und meiner Truppe, sah ich 1986 in Buenos Aires. Und
der war so cool und so gut aussehend, dass meine Klamotten mir total
peinlich waren. In dieser Zeit kannte ich noch nicht das Konzept von
Boutique Punk, und mein Style war eine Mischung aus Punk und New Wave.
So haben wir das wahrgenommen, wie ein Mischmasch, den jeder
für
sich frei interpretieren konnte. Die erste Punkband in Chile waren Los
Prisioneros, die keine Punkmusik spielten, sondern eher New Wave Pop,
am Anfang beinflusst von The Clash. Danach sind sie schnell in Richtung
Depeche Mode abgedriftet, mit leicht rebellischen Texten, die viel
Erfolg hatten inmitten der repressiven Pinochetdiktatur. Jetzt sind sie
Millionäre und Pop Mogule. Ich glaube, die erste richtige
Punkband
in Chile waren wir, Los Pinochet Boyz. Es gab noch eine Band, die hiess
Los Violadores, aus Buenos Aires. Die haben aber eher Punkrock gespielt.
Gab
es auch Punks in anderen Städten ausser Santiago?
Ich
glaube in Concepción, Südchile, gab es welche. Aber
sonst nur in Santiago.
Was
hat dich damals an der Musik oder an der Bewegung interessiert und
besonders gereizt? Wieso hast du dich entschieden, Punk zu werden?
Es
hat mich
total angesprochen. Ich war absolut enttäuscht von der vorigen
Generation, von ihrer Feigheit im bezug auf Pinochet. Meine ganze
Familie waren Linke, und ich konnte ihre Passivität nicht
fassen.
Die waren einfach in krassem Kapitalismus versunken,
unverständlich für mein rebellisches, romantisches
Teenagerherz. Wie gesagt habe ich mich immer für Musik und
Kunst
interessiert, und das war eine Chance, die alten Modelle wegzuwerfen,
den ganzen Hippierockscheiss, der nichts geändert hat, die
sich
verkauft oder einfach verschlingen lassen haben. Ich wollte nichts
ändern, sondern kaputt machen. Ich wollte nicht reich werden,
und
ich wollte mit 21 sterben.
Wie
hast du in deiner Kindheit und Jugend die Pinochet-Diktatur empfunden?
Wie war die allgemeine Stimmung in der Bevölkerung?
Spürte
man Widerwillen, oder hatten die Menschen Angst sich politisch zu
äussern?
Ich
war sieben,
als ich mit meinem älteren Bruder die Flieger sah, die La
Moneda
(den Regierungssitz) bombardierten, das war am 11. September 1973.
Meine Mutter zitterte vor Angst, als sie versuchte, uns zu
erklären, was los war. Danach habe ich die letzten Worte von
Allende im Fernsehen gehört, bevor er ermordet wurde. Die
Angst
unter den Leuten war so gross, dass ich sie sogar riechen konnte. So
ging das drei oder vier Jahre lang, absoluter Terror und
Ausgangssperre, bis zu den ersten schüchternen Schritten einer
Sozialbewegung.
Inwieweit
war man über die Verbrechen Pinochets zur Zeit der Diktatur
informiert? Kanntest du Personen, die verschwunden waren? Verschwanden
Menschen nur zu Anfang der Diktatur oder setzte sich dieses Verbrechen
bis zum Ende fort?
Das
war die
absolute Manipulation, die absolute Schizophrenie. Die Toten waren alle
gefährliche Terroristen mit schrecklich vielen Waffen. Es
herrschte präventiver Krieg. Pinochet, der Retter vor dem
kommunistischen Terror. Jede Nachrichtensendung handelte von gefundenen
Waffenarsenalen und toten Terroristen. Genauso wie heute in Palestina
oder Irak. Ein paar Verwandte sind gefoltert worden, viele Bekannte
verschwunden, viele Cousinen meiner Mutter ins Exil gegangen, zum
Glück. Auch mein Stiefvater ist mit heiler Haut davongekommen,
nach drei Monaten Gefängnis.
Ich
war schon in
der Uni und habe Soziologie studiert, als zwei Klassenkameraden tot
aufgefunden wurden, nachdem ihnen angeblich ihre eigenen Bomben in den
Händen explodiert waren. Eine der beiden hiess Luceda und war
erst
17 Jahre alt. Die Verbrechen gingen weiter, bis wenige Tage vor der
Volksabstimmung, die Pinochet 1989 verlor.
Wie
standen deine Eltern der Regierung gegenüber? Was für
ein
Verhältnis hattest und hast du zu deinen Eltern/Geschwistern
und
wie reagierten sie, als du begonnen hast, dich für Punkrock zu
interessieren?
Siehe
oben. Ich
hatte immer ein schlechtes Verhältniss zu meiner Familie, und
das
war das Ende. Mein Vater war sich sicher, dass ich homosexuell war, und
das war für ihn das Schlimmste überhaupt.
Wie
reagierte die Gesellschaft im allgemeinen auf Punks? Wurdet ihr
angegriffen oder verspottet?
Die
meisten hielten uns für Schwule. Der Rest zog immer diese
Ekelgrimassen, wenn sie uns sahen.
Wie
verhielten sich die Polizisten? Wurden Punks häufig
festgenommen?
Wie spürbar war die Verfolgung und Überwachung durch
den
Staat? Gab es auch Spitzel und Verräter, die mit der Polizei
zusammen arbeiteten, in der Punkszene? Was hast du perönlich
für Erfahrungen sammeln müssen?
Für
die
waren wir etwas ganz "stranges". Die haben uns nie mit einer
politischen Einstellung in Verbindung gebracht. Für die
bestand
die linke Szene aus den klassischen Hippies, universitären,
politischen Dirigenten plus organisierte Gruppen aus den Slums. Wir
wurden öfter festgenomen, aber eigentlich nur wegen unseres
Aussehens. Es hat lange gedauert, bis die begriffen, dass wir eine
linke, radikale politische Einstellung hatten. Ich war jedes zweite
Wochenende im Knast wegen meinen Haaren oder meinen T-Shirts.
War
die Punkszene von Anfang an politisch, oder tendierte sie in die
‘no-future’ Richtung? Gab es Kämpfe
innerhalb der
Punkszene (ich weiss zum Beispiel, dass in Caracas Punks aus
verschiedenen Vierteln gegeneinander kämpften und dass in Lima
Punks aus der Oberschicht von Punks aus der Unterschicht angegriffen
werden...)?
Die
Punkszene in
Südamerika, die du beschreibst, kam, glaube ich, viel
später.
Wir reden von Zeiten, in denen keiner genau wusste, was Punk war. Die
Entstehung des südamerikanischen Punks war absolut postmodern.
Darum hat uns die Staatsautorität nicht als eine politische
Gefahr
betrachtet, sondern eher als eine dekadente Jugend mit unmoralischem
Geschmack.
Soweit
ich weiss, hast du damals Musik und Soziologie studiert. War die
Punkszene also eher etwas für Jugendlich der Oberschicht,
Studenten, etc. oder gab es auch Punks aus den armen Gegenden?
Am
Anfang gab es
Punks in einer Gegend namens San Miguel, ein Stadtviertel der
Mittelschicht -woher auch Los prisioneros stammten. Später
wurde
Punk irgendwie Mode, und es gab auch Leute aus besseren
Verhältnissen. Aus den unteren Schichten gab es keine Punks,
weil
Punk zu sein, bedeutete, gewisse Informationen zu haben, zu denen die
Armen keinen Zugang hatten.
Waren
die Universitäten damals nicht unter direkter
militärischer Kontrolle?
Ja,
aber trotzdem haben sich die Studenten immer wieder organisiert, mit
brutalen Konsequenzen (für die Studenten).
Hattest
du damals Kontakte zu politischen Gruppen? Wie hast du den Versuch
Pinochet zu ermorden 1986 erlebt? Gab es überhaupt
Verbindungen
zwischen Punks und militanten Gegnern des Regimes?
In
der Uni war
ich nur Teil der Selbstverteidigungsgruppe der Universität,
weil
es die radikalste Gruppe war. Die restlichen Vereinigungen und Parteien
kamen mir zu soft und zu veraltet vor für die Zeit.
Ich
war schon in
Brasilien, als das Attentat stattfand, und ich erinnere mich an
Pinochet, zitternd vor Angst und weinend, als wäre es seine
erste
Annährung an den Tod. Ich bin sicher, dass es die erste war.
Komisch für einen Soldaten und Engel des Todes. Unfassbar, der
härteste Diktator Südamerikas macht sich in die
Hosen.
Nein,
diese
Verbindungen gab es nicht. Die linke Szene war auch gleichzeitig sehr
konservativ, und für sie bedeutete, Bands aus Europa oder
Amerika
zu hören, auf englisch, dass man pro imperialistisch
eingestellt
war.
Wie
sahst du damals die Kommunisten und die Anhänger Allendes?
Wie
alte
verblasste Hippies, die nicht den Mut hatten, zu rebellieren. Heute
denke ich aber, wie hätten sie das auch machen sollen. Sie
hatten
null Infrastruktur, keine Waffen etc... Aber in dieser Zeit war
ich sehr enttäuscht und wütend.
Wie
sah die chilenische Bevölkerung damals die USA, welche
Pinochet
massiv unterstützten? Gab es einen starken Anti-Amerikanismus?
Das
wussten nur die Linken. Es gab keinerlei Information, alles war
manipuliert.
Wann
wurden die Pinochet Boys gegründet? War das deine erste Band?
Wer
waren die Mitglieder und wer spielte welches Instrument? Habt ihr noch
in anderen Bands gespielt?
Pinochet
Boys
wurden 1984 gegründet, meine erste Band. Sebastian Levine
spielte
Schlagzeug, Miguel Conejeros spielte einen monophonen Synthie und sein
Bruder Ivan Gitarre oder Bass, genauso wie ich. Ich habe auch gesungen
und die meisten der Texte geschrieben.
Wie
seid ihr auf den Namen’Pinochet Boys’ gekommen? War
es
nicht sehr gefährlich unter diesem Namen Musik zu machen?
Ich
weiss nicht
genau, auf irgendeiner Party, besoffen oder so, ist uns der Name
eingefallen. Wir waren uns der Konsequenzen des Namens nicht wirklich
bewusst, bis die Bullen vor uns standen.
Gab
es nicht viele Leute, die euch von dem Namen abgeraten haben?
Ich
glaube, so
ziemlich alle, die etwas mit Musik zu tun hatten. Sie sagten, mit einem
anderen Namen hätten wir bestimmt Erfolg. Es war
nämlich ein
Moment, in dem sich die Leute nach südamerikanischer Musik mit
südamerikanischen Thematiken sehnten, und wir sangen alles in
spanisch. Das Motto "do it yourself" hatte sich mittlerweile auch in
Südamerika herumgesprochen, "mach Musik in deiner Sprache, mit
den
Mitteln, die dir zur Verfuegung stehen".
Woher
hattet ihr eure Instrumente/Verstärker? Wo konntet ihr damals
proben?
Ich
hatte eine
Gitarre, einen Bass und ein Radio, das als Verstärker diente.
Ivan
verkaufte einen alten Fiat 600, von seinem Vater, um Equipment zu
kaufen. Wir probten bei mir, bis mein Vater mich rausschmiss.
Habt
ihr von Anfang an eigene Songs geschrieben? Von was handelten eure
Texte und wie würdest du eure Musik beschreiben?
Ja.
Meistens über unsere Psychorealität (Chile). Die
Musik war eher No Wawe, Postpunk.
Ich
habe irgendwo gelesen, dass ihr elektronische Einflüsse hatte.
Welche Bands waren damals für euch einflussreich und mit
welchen
Mitteln habt ihr elektronische Musik gemacht?
Ich
hörte viel Kraftwerk,YMO, Cabaret Voltaire, Throbbing Gristle
und natürlich den ganzen Elektropop...
Kannst
du dich noch an euren ersten Auftritt erinnern? Wo fanden damals
Konzerte statt? Wieviel Auftritte habt ihr insgesamt gehabt? Was denkst
du war das beste, welches das schlechteste Konzert?
Der
erste
Auftritt war in einem Theaterstück. Wir fanden immer
irgendeinen
Ort, den keiner benutzte, wovon es viele gab. Dann besorgten wir das
Equipment irgendwo und zogen unsere eigenen "alternativen Festivals"
durch.
Welches
das
beste und welches das schlechteste Konzert war, kann ich nicht genau
sagen, da wir irgendwann anfingen, vor jedem Konzert psychodelische
Drogen (San Pedro, Mezcalin,..) zu nehmen.
Soviel
ich weiss, habt ihr 5 Songs aufgenommen. Wo konnte eine Band mit dem
Namen ‘Pinochet Boys’ Songs aufnehmen? Habt ihr
diese
Aufnahmen jemals veröffentlicht? Was geschah mit den
Masterbändern? Existieren sie noch irgendwo?
Der
Produzent
der Prisioneros hat ein paar Aufnahmen bezahlt, und ich nehme an, er
hat die Masterbänder immer noch. Wir, und ganz besonders ich,
hatten jedoch eine absolut antikommerzielle Einstellung, die uns davon
abhielt, etwas von dem, das wir produzierten oder besassen,
aufzubewahren.
Die
meisten alten Bands, die ich aus Chile kenne, wie zum Beispiel Los KK,
Caos, Ocho Bolas, etc, haben erst 1989 ihre Songs aufgenommen. Gab es
diese Gruppen schon zur Zeit, als die Pinochet Boys bestanden? Welche
Bands mochtest du, welche eher nicht?
Nein,
ich kenne keine davon. Wahrscheinlich war ich schon in Deutschland zu
der Zeit.
Du
hast dann Chile verlassen. Wann war das und wohin bist du
zunächst
gegangen? Was geschah mit den anderen Bandmitgliedern der Pinochet Boys?
Ich
bin 1986 das
erste Mal ausgewandert, nach Argentinien. Von da aus nach Brasilien.
Insgesamt habe ich ungefähr zwei Jahre in Argentinien und
Brasilien verbracht.
Die
anderen sind
bis Ende der 90er in Chile geblieben. Die Brüder Conejeros
wohnen
jetzt auch in Barcelona. Sebastian wohnt zur Zeit in Hamburg, nachdem
er vier Jahre in New York verbracht hatte.
Ich
habe gelesen, dass ihr massiv von der Regierung unter Druck gesetzt
worden sei, damit ihr das Land verlasst. Wie war das damals genau?
Meine
Mutter
arbeitete in einer Staatsinstitution, weswegen ihr Chef einer vom
Militär war, der irgendwann anfing, meiner Mutter zu
"empfehlen",
dass ich das Land verlassen sollte. Danach machte die Polizei einige
Razzias in unserer WG und bei Freunden von uns.
Wie
erging es dir an der Grenze? Gab es bei der Ausreise Probleme?
Mit
den Papieren nicht, mit den Haaren schon.
Hast
du deine Entscheidung das Land zu verlassen jemals bereut?
In
Wirklichkeit ist es meine Berufung, Ausländer zu sein.
Du
warst zunächst in Buenos Aires, oder? Wie hast du die
Punkszene in
Argentinien empfunden? Gab es starke Gegensätze zur Szene
Santiagos?
In
Argentinien
waren die Punks organisierter, hatten bessere Klamotten und ich sah
auch zum ersten Mal einen Marshallverstärker. Da habe ich
Bands
getroffen wie Los Fabulosos Cadillacs oder Todos Tus Muertos. Richtig
umgehauen hat mich aber die Punkmusik in Brasilien. Die waren schon
viel weiter, obwohl sie nur ganz schlechtes nationales Equipment
hatten.
Später
bist du nach Europa gekommen. Wie kam es zu dieser Entscheidung und wie
hat die Europa gefallen?
Ich
hatte eine
deutsche Freundin, und mein Vater, der mich loswerden wollte, bot mir
ein One-Way-Ticket nach Europa an, wenn ich sie heirate. Ich sagte,
einverstanden.
Wie
hast du die Menschen in Europa empfunden? Hast du dich eher ungewollt
oder willkommen gefühlt? Hattest du Probleme eine
Aufenthaltsgenehmigung zu bekommen?
Ich
hatte nur
diese Zeitschriften gesehen und dachte, dass all diese Models die
normale Leute seien. Dass alle freakig angezogen sind und Indiemusik
hören. Als ich ankam, sah ich die normalen Leute, die Junkies
mit
Tättowierungen im Gesicht und die Nutten und war sehr
erstaunt.
Ich musste an meinen Vater denken, der mir vor meiner Abreise gesagt
hatte, er hoffe, dass die Leute mich trotz meiner
Indiogesichtszüge gut aufnehmen. Zum ersten Mal war ich mir
nicht
mehr so sicher, dass ich ein Weisser bin, sondern eher so ein
Zwischending. Ich fühlte den Rassismus der einen und die
angestrengte Toleranz der anderen. Ich habe immer noch Probleme damit,
und das, obwohl ich mehr als 13 Jahre in Deutschland gelebt habe und
einen deutschen Sohn habe.
Wie
hast du die Punkszenen Europas gesehen? Haben sie dir gefallen, oder
warst du eher enttäuscht?
Die
Organisation
und die Infrastruktur, die es gibt, sind genial. Das Problem, dass ich
sehe, ist, dass diese Lebensform völlig von der Sozialhilfe
abhängig ist. Unvorstellbar in jedem "unterentwickelten" Land.
Das
kommt mir verdächtig vor. Manchmal scheint es mir, dass die
Regierungen diese Wege und Freiräume des Ausdrucks
"unterhalten",
um die rebellische Masse in eine passive, selbstzufriedene, in ihrem
Innern rebellische, aber nach aussen hin völlig harmlose
Bewegung
zu verwandeln.
Du
kannst die
Regierung kritisieren, deine Inkonformität zeigen und brauchst
nicht einmal zu arbeiten, aber dadurch, dass der Staat diese Bewegung
"bezahlt", kann er sie auch "einrahmen", kontrollieren und was am
schlimmsten ist, entradikalisieren. Ich glaube, die
europäische
Jugend hat die demokratische Zukunft in ihren Händen. Wenn
auch
nur die kleinste Chance auf eine gerechtere Welt besteht, dann nur,
wenn die europäische Jugend sich mobilisiert und von ihren
Regierungen Transparenz und eine faire Behandlung der arme
Länder
fordert. Die jungen Europär sind die einzigen, die erkennen
können, dass die Politiker in Wirklichkeit unsere Angestellten
sind, die wir bezahlen, damit sie das tun, was wir wollen und dass wir
sie, wenn sie das nicht tun, feuern und sie zur Verantwortung ziehen
können, wie jeden Angestellten einer kapitalistischen
Gesellschaft. Dieser Spruch von The Clash "Know your rights"
funktioniert nur hier, nicht in Chiapas.
Du
hast in Hamburg gelebt und die Band ‘NINOS CON
BOMBAS’
gegründet. Erzähl doch bitte kurz, wer bei dieser
Band dabei
war, was ihr veröffentlicht habt, etc...
1.
Album 1995 “Ninos con bombas de tiempo en el momento de la
explosion”
2.
Album 1997 “El nino”
Norman
Jankowski
spielt Schlagzeug, Alex Menck, den Bass und ich singe und spiele
Gitarre. Trillian fing an, Samples hinzuzufügen, als wir mit
El
Nino auf Tour waren.
Wann
bist zu zum ersten mal zurück nach Chile gereist? Wie ist es
dir
dort ergangen? Wie waren deine Gef\ühle, als du wieder in
Santiago
warst?
1996.
Es war
total verrückt, voller Emotionen. Das Land wiederzusehen, die
Leute, etc. Aber ich wurde das Gefühl nicht los, ein
Ausländer zu sein, dass ich die chilenischen Eigenarten
("idiosyncraceda") ein bisschen "zu gut" verstand.
Wie
oft reist du heutzutage nach Chile? Für wie groß
hältst
du den Einfluss der ehemaligen Machthaber heute? Vor allem der
Polizei-Apparat hat sich doch nicht wirklich geändert, oder?
Ich
bin in den
letzten 15 Jahren drei Mal nach Chile gereist. Pinochet ist eine offene
Narbe, weil er lebt, weil er nicht verurteilt worden ist und 40% der
Bevölkerung ihm immer noch den Fortschritt und die
wirtschaftliche
Stabilität zuschreiben. Dass der Chef des chilenischen Heers
sich
vom Putsch distanziert und zugegeben hat, dass die Menschenrechte
verletzt worden waren, ist schon ein großer Fortschritt.
Diktaturen hinterlassen riesige Wunden, die sehr schwer zu heilen sind.
Ich glaube, wir brauchen noch 50 Jahre mehr, um den Hass zu begraben.
Was
würdest du Augusto Pinochet sagen, wenn du ihm jemals
persönlich begegnen würdest?
Ich
weiss nicht,
wie ich reagieren würde... ich habe so oft daran gedacht, ihn
zu
ermorden... aber das wäre zu einfach...ich hätte es
gerne,
dass er Angst fühlt, Terror... Aber ich mag diese Art von
Gedanken
nicht, weil sie nur der Ausdruck meiner Reaktion auf ihn sind. Ich
versuche schon mein ganzes Leben lang, zu überwinden, dass er
etwas in mir hervorruft.
Wie
ging es weiter, als sich die NINOS CON BOMBAS aufgelöst haben?
Im
Moment lebst du ja in Barcelona und hast die Band POLVOROSA. Seit wann
bist du dort und was ist POLVOROSA für eine Band?
‘Ninos
con
Bombas’ lösten sich in Los Angeles auf, und ich
kehrte nach
Hamburg zurück, und fing an, mit Trillian zu spielen und zu
komponieren. Trillian wurde schwanger mit unserem Sohn Rocco, und es
erschien uns angebracht, ein sonnigeres, ruhigeres Plätzchen
zu
suchen, was wir in der Nähe von Barcelona in einem kleinen
Dorf
fanden. Wir sind nun schon drei Jahre hier.
Polvorosa
ist sowas ähnliches wie ‘Ninos con
Bombas’, nur mit programmiertem Bass und Manager.
Hast
du noch Kontakte zur chilenischen Punkszene? Was ist mit deinen alten
Freunden geschehen? Als ich in Chile war habe ich kaum alte Punks
getroffen... wie haben sich diese Leute verändert?
Alle
sind
ziemlich bürgerlich und "modern" geworden, und die, die
weiterhin
Musik machen, haben jetzt auch Modelfreundinnen und sind "Popstars".
Was
für ein Verhältnis hast du insgesamt zu Punk?
Interessiert
dich diese Art von Musik überhaupt noch? Hast du noch das
Gefühl in deinem Inneren Punk zu sein? Was hat sich deiner
Meinung
nach verändert?
Wie
ich schon
erklärt habe, bedeutet Punk für mich viel mehr, als
ein
Musik- oder Kleidungsstil, für mich war es die
Möglichkeit,
kreativ zu sein in einer der persönlichen Freiheit absolut
feindlich gesinnten Umgebung. Er hat meine Weltsicht "modelliert" und
mir den Mut gegeben, eine Person, ein Individuum zu sein.
Was
die Musik
angeht hat mich diese lange Zeit inmitten der Musik zu einem Geniesser
gemacht. Zuerstmal mag ich keine Bands, die kopieren, und ich rede
nicht von Einflüssen, was ich völlig legitim finde,
sondern
wirklich davon, gleich zu klingen und gleich zu komponieren wie diese
oder jene Band. Das ist für mich kein Punk, auch wenn es zu
dieser
Musikrichtung gehört. Du darfst nicht vergessen, dass eine der
ersten Punkbands, die ich gehört habe, The Clash waren, die
sich
heutzutage keiner trauen wuürde, als Punk zu bezeichnen. Und
es
war dieser neue und frische Sound, mit emotionsgeladenen Texten, der
mich in dieser Zeit prägte, und ich bin immer noch auf der
Suche
nach neuen Sounds, die mich überraschen, und leider vermag ich
sie
in der Punk- oder Neopunkszene nicht zu finden. Ich finde die
südamerikanischen Songwriter der 60er Jahre viel punkiger,
auch
wenn sie soundmässig näher bei Bob Dylan liegen als
bei
Rancid.
Was
hast du für deine persönliche Zukunft geplant...
wirst du in Barcelona bleiben, oder weiterziehen?
Ich
weiss es
nicht. Ich denke nicht gerne an die Zukunft. Mit 21 habe ich
aufgehört, an die Zukunft zu denken, als ich nach einem
Selbstmordversuch im Krankenhaus aufwachte und dachte, es sieht so aus,
als ob ich weiterleben sollte und dass ich aufhören sollte,
mir
Grenzen und Regeln aufzuerlegen.
Hast
du noch irgendwelche abschliessenden Worte?
Nein,
danke.
Ich
bedanke mich für das Interview
KONTAKT:
www.polvorosa.com