PINOCHET BOYS (Chile)

Zunächst vielleicht die wichtigsten Daten. Wie alt bist, wo bist du geboren, aufgewachsen, etc?

Ich bin 38, in Santiago de Chile geboren, und auch in Santiago aufgewachsen.

Wann und wie bist du mit Punkmusik in Berührung gekommen? Gab es damals Kontakte der anderen Latein Amerikanischen Punkszenen untereinander? Hatte ihr Ahnung was in Lima und Buenos Aires von statten ging? Was waren damals die wichtigsten/beliebtesten Bands?

1983, nach der Schule, habe ich angefangen, Punk und New Wave zu hören mit Leuten, die aus dem Exil zurückkamen. Ich habe mich immer für Musik interessiert. Meine erste Platte kaufte ich mit 8 Jahren. Von Punks wusste ich nur das, was ich in europäischen Magazinen gelesen hatte, die ebenfalls dieselben Leute mitgebracht hatten oder andere, die es sich leisten konnten, zu reisen, und die uns natürlich alles erzählten, was sie gesehen hatten. Den ersten Punk, ausser mir und meiner Truppe, sah ich 1986 in Buenos Aires. Und der war so cool und so gut aussehend, dass meine Klamotten mir total peinlich waren. In dieser Zeit kannte ich noch nicht das Konzept von Boutique Punk, und mein Style war eine Mischung aus Punk und New Wave. So haben wir das wahrgenommen, wie ein Mischmasch, den jeder für sich frei interpretieren konnte. Die erste Punkband in Chile waren Los Prisioneros, die keine Punkmusik spielten, sondern eher New Wave Pop, am Anfang beinflusst von The Clash. Danach sind sie schnell in Richtung Depeche Mode abgedriftet, mit leicht rebellischen Texten, die viel Erfolg hatten inmitten der repressiven Pinochetdiktatur. Jetzt sind sie Millionäre und Pop Mogule. Ich glaube, die erste richtige Punkband in Chile waren wir, Los Pinochet Boyz. Es gab noch eine Band, die hiess Los Violadores, aus Buenos Aires. Die haben aber eher Punkrock gespielt.

Gab es auch Punks in anderen Städten ausser Santiago?

Ich glaube in Concepción, Südchile, gab es welche. Aber sonst nur in Santiago.

Was hat dich damals an der Musik oder an der Bewegung interessiert und besonders gereizt? Wieso hast du dich entschieden, Punk zu werden?

Es hat mich total angesprochen. Ich war absolut enttäuscht von der vorigen Generation, von ihrer Feigheit im bezug auf Pinochet. Meine ganze Familie waren Linke, und ich konnte ihre Passivität nicht fassen. Die waren einfach in krassem Kapitalismus versunken, unverständlich für mein rebellisches, romantisches Teenagerherz. Wie gesagt habe ich mich immer für Musik und Kunst interessiert, und das war eine Chance, die alten Modelle wegzuwerfen, den ganzen Hippierockscheiss, der nichts geändert hat, die sich verkauft oder einfach verschlingen lassen haben. Ich wollte nichts ändern, sondern kaputt machen. Ich wollte nicht reich werden, und ich wollte mit 21 sterben.

Wie hast du in deiner Kindheit und Jugend die Pinochet-Diktatur empfunden? Wie war die allgemeine Stimmung in der Bevölkerung? Spürte man Widerwillen, oder hatten die Menschen Angst sich politisch zu äussern?

Ich war sieben, als ich mit meinem älteren Bruder die Flieger sah, die La Moneda (den Regierungssitz) bombardierten, das war am 11. September 1973. Meine Mutter zitterte vor Angst, als sie versuchte, uns zu erklären, was los war. Danach habe ich die letzten Worte von Allende im Fernsehen gehört, bevor er ermordet wurde. Die Angst unter den Leuten war so gross, dass ich sie sogar riechen konnte. So ging das drei oder vier Jahre lang, absoluter Terror und Ausgangssperre, bis zu den ersten schüchternen Schritten einer Sozialbewegung.

Inwieweit war man über die Verbrechen Pinochets zur Zeit der Diktatur informiert? Kanntest du Personen, die verschwunden waren? Verschwanden Menschen nur zu Anfang der Diktatur oder setzte sich dieses Verbrechen bis zum Ende fort?

Das war die absolute Manipulation, die absolute Schizophrenie. Die Toten waren alle gefährliche Terroristen mit schrecklich vielen Waffen. Es herrschte präventiver Krieg. Pinochet, der Retter vor dem kommunistischen Terror. Jede Nachrichtensendung handelte von gefundenen Waffenarsenalen und toten Terroristen. Genauso wie heute in Palestina oder Irak. Ein paar Verwandte sind gefoltert worden, viele Bekannte verschwunden, viele Cousinen meiner Mutter ins Exil gegangen, zum Glück. Auch mein Stiefvater ist mit heiler Haut davongekommen, nach drei Monaten Gefängnis.
Ich war schon in der Uni und habe Soziologie studiert, als zwei Klassenkameraden tot aufgefunden wurden, nachdem ihnen angeblich ihre eigenen Bomben in den Händen explodiert waren. Eine der beiden hiess Luceda und war erst 17 Jahre alt. Die Verbrechen gingen weiter, bis wenige Tage vor der Volksabstimmung, die Pinochet 1989 verlor.

Wie standen deine Eltern der Regierung gegenüber? Was für ein Verhältnis hattest und hast du zu deinen Eltern/Geschwistern und wie reagierten sie, als du begonnen hast, dich für Punkrock zu interessieren?

Siehe oben. Ich hatte immer ein schlechtes Verhältniss zu meiner Familie, und das war das Ende. Mein Vater war sich sicher, dass ich homosexuell war, und das war für ihn das Schlimmste überhaupt.

Wie reagierte die Gesellschaft im allgemeinen auf Punks? Wurdet ihr angegriffen oder verspottet?

Die meisten hielten uns für Schwule. Der Rest zog immer diese Ekelgrimassen, wenn sie uns sahen.

Wie verhielten sich die Polizisten? Wurden Punks häufig festgenommen? Wie spürbar war die Verfolgung und Überwachung durch den Staat? Gab es auch Spitzel und Verräter, die mit der Polizei zusammen arbeiteten, in der Punkszene? Was hast du perönlich für Erfahrungen sammeln müssen?

Für die waren wir etwas ganz "stranges". Die haben uns nie mit einer politischen Einstellung in Verbindung gebracht. Für die bestand die linke Szene aus den klassischen Hippies, universitären, politischen Dirigenten plus organisierte Gruppen aus den Slums. Wir wurden öfter festgenomen, aber eigentlich nur wegen unseres Aussehens. Es hat lange gedauert, bis die begriffen, dass wir eine linke, radikale politische Einstellung hatten. Ich war jedes zweite Wochenende im Knast wegen meinen Haaren oder meinen T-Shirts.

War die Punkszene von Anfang an politisch, oder tendierte sie in die ‘no-future’ Richtung? Gab es Kämpfe innerhalb der Punkszene (ich weiss zum Beispiel, dass in Caracas Punks aus verschiedenen Vierteln gegeneinander kämpften und dass in Lima Punks aus der Oberschicht von Punks aus der Unterschicht angegriffen werden...)?

Die Punkszene in Südamerika, die du beschreibst, kam, glaube ich, viel später. Wir reden von Zeiten, in denen keiner genau wusste, was Punk war. Die Entstehung des südamerikanischen Punks war absolut postmodern. Darum hat uns die Staatsautorität nicht als eine politische Gefahr betrachtet, sondern eher als eine dekadente Jugend mit unmoralischem Geschmack.

Soweit ich weiss, hast du damals Musik und Soziologie studiert. War die Punkszene also eher etwas für Jugendlich der Oberschicht, Studenten, etc. oder gab es auch Punks aus den armen Gegenden?

Am Anfang gab es Punks in einer Gegend namens San Miguel, ein Stadtviertel der Mittelschicht -woher auch Los prisioneros stammten. Später wurde Punk irgendwie Mode, und es gab auch Leute aus besseren Verhältnissen. Aus den unteren Schichten gab es keine Punks, weil Punk zu sein, bedeutete, gewisse Informationen zu haben, zu denen die Armen keinen Zugang hatten.

Waren die Universitäten damals nicht unter direkter militärischer Kontrolle?

Ja, aber trotzdem haben sich die Studenten immer wieder organisiert, mit brutalen Konsequenzen (für die Studenten).

Hattest du damals Kontakte zu politischen Gruppen? Wie hast du den Versuch Pinochet zu ermorden 1986 erlebt? Gab es überhaupt Verbindungen zwischen Punks und militanten Gegnern des Regimes?

In der Uni war ich nur Teil der Selbstverteidigungsgruppe der Universität, weil es die radikalste Gruppe war. Die restlichen Vereinigungen und Parteien kamen mir zu soft und zu veraltet vor für die Zeit.
Ich war schon in Brasilien, als das Attentat stattfand, und ich erinnere mich an Pinochet, zitternd vor Angst und weinend, als wäre es seine erste Annährung an den Tod. Ich bin sicher, dass es die erste war. Komisch für einen Soldaten und Engel des Todes. Unfassbar, der härteste Diktator Südamerikas macht sich in die Hosen.
Nein, diese Verbindungen gab es nicht. Die linke Szene war auch gleichzeitig sehr konservativ, und für sie bedeutete, Bands aus Europa oder Amerika zu hören, auf englisch, dass man pro imperialistisch eingestellt war.

Wie sahst du damals die Kommunisten und die Anhänger Allendes?

Wie alte verblasste Hippies, die nicht den Mut hatten, zu rebellieren. Heute denke ich aber, wie hätten sie das auch machen sollen. Sie hatten null Infrastruktur, keine Waffen etc... Aber in dieser Zeit war ich  sehr enttäuscht und wütend.

Wie sah die chilenische Bevölkerung damals die USA, welche Pinochet massiv unterstützten? Gab es einen starken Anti-Amerikanismus?

Das wussten nur die Linken. Es gab keinerlei Information, alles war manipuliert.

Wann wurden die Pinochet Boys gegründet? War das deine erste Band? Wer waren die Mitglieder und wer spielte welches Instrument? Habt ihr noch in anderen Bands gespielt?

Pinochet Boys wurden 1984 gegründet, meine erste Band. Sebastian Levine spielte Schlagzeug, Miguel Conejeros spielte einen monophonen Synthie und sein Bruder Ivan Gitarre oder Bass, genauso wie ich. Ich habe auch gesungen und die meisten der Texte geschrieben.

Wie seid ihr auf den Namen’Pinochet Boys’ gekommen? War es nicht sehr gefährlich unter diesem Namen Musik zu machen?

Ich weiss nicht genau, auf irgendeiner Party, besoffen oder so, ist uns der Name eingefallen. Wir waren uns der Konsequenzen des Namens nicht wirklich bewusst, bis die Bullen vor uns standen.

Gab es nicht viele Leute, die euch von dem Namen abgeraten haben?

Ich glaube, so ziemlich alle, die etwas mit Musik zu tun hatten. Sie sagten, mit einem anderen Namen hätten wir bestimmt Erfolg. Es war nämlich ein Moment, in dem sich die Leute nach südamerikanischer Musik mit südamerikanischen Thematiken sehnten, und wir sangen alles in spanisch. Das Motto "do it yourself" hatte sich mittlerweile auch in Südamerika herumgesprochen, "mach Musik in deiner Sprache, mit den Mitteln, die dir zur Verfuegung stehen".

Woher hattet ihr eure Instrumente/Verstärker? Wo konntet ihr damals proben?

Ich hatte eine Gitarre, einen Bass und ein Radio, das als Verstärker diente. Ivan verkaufte einen alten Fiat 600, von seinem Vater, um Equipment zu kaufen. Wir probten bei mir, bis mein Vater mich rausschmiss.

Habt ihr von Anfang an eigene Songs geschrieben? Von was handelten eure Texte und wie würdest du eure Musik beschreiben?

Ja. Meistens über unsere Psychorealität (Chile). Die Musik war eher No Wawe, Postpunk.

Ich habe irgendwo gelesen, dass ihr elektronische Einflüsse hatte. Welche Bands waren damals für euch einflussreich und mit welchen Mitteln habt ihr elektronische Musik gemacht?

Ich hörte viel Kraftwerk,YMO, Cabaret Voltaire, Throbbing Gristle und natürlich den ganzen Elektropop...

Kannst du dich noch an euren ersten Auftritt erinnern? Wo fanden damals Konzerte statt? Wieviel Auftritte habt ihr insgesamt gehabt? Was denkst du war das beste, welches das schlechteste Konzert?

Der erste Auftritt war in einem Theaterstück. Wir fanden immer irgendeinen Ort, den keiner benutzte, wovon es viele gab. Dann besorgten wir das Equipment irgendwo und zogen unsere eigenen "alternativen Festivals" durch.
Welches das beste und welches das schlechteste Konzert war, kann ich nicht genau sagen, da wir irgendwann anfingen, vor jedem Konzert psychodelische Drogen (San Pedro, Mezcalin,..) zu nehmen.

Soviel ich weiss, habt ihr 5 Songs aufgenommen. Wo konnte eine Band mit dem Namen ‘Pinochet Boys’ Songs aufnehmen? Habt ihr diese Aufnahmen jemals veröffentlicht? Was geschah mit den Masterbändern? Existieren sie noch irgendwo?

Der Produzent der Prisioneros hat ein paar Aufnahmen bezahlt, und ich nehme an, er hat die Masterbänder immer noch. Wir, und ganz besonders ich, hatten jedoch eine absolut antikommerzielle Einstellung, die uns davon abhielt, etwas von dem, das wir produzierten oder besassen, aufzubewahren.

Die meisten alten Bands, die ich aus Chile kenne, wie zum Beispiel Los KK, Caos, Ocho Bolas, etc, haben erst 1989 ihre Songs aufgenommen. Gab es diese Gruppen schon zur Zeit, als die Pinochet Boys bestanden? Welche Bands mochtest du, welche eher nicht?

Nein, ich kenne keine davon. Wahrscheinlich war ich schon in Deutschland zu der Zeit.

Du hast dann Chile verlassen. Wann war das und wohin bist du zunächst gegangen? Was geschah mit den anderen Bandmitgliedern der Pinochet Boys?

Ich bin 1986 das erste Mal ausgewandert, nach Argentinien. Von da aus nach Brasilien. Insgesamt habe ich ungefähr zwei Jahre in Argentinien und Brasilien verbracht.
Die anderen sind bis Ende der 90er in Chile geblieben. Die Brüder Conejeros wohnen jetzt auch in Barcelona. Sebastian wohnt zur Zeit in Hamburg, nachdem er vier Jahre in New York verbracht hatte.

Ich habe gelesen, dass ihr massiv von der Regierung unter Druck gesetzt worden sei, damit ihr das Land verlasst. Wie war das damals genau?

Meine Mutter arbeitete in einer Staatsinstitution, weswegen ihr Chef einer vom Militär war, der irgendwann anfing, meiner Mutter zu "empfehlen", dass ich das Land verlassen sollte. Danach machte die Polizei einige Razzias in unserer WG und bei Freunden von uns.

Wie erging es dir an der Grenze? Gab es bei der Ausreise Probleme?

Mit den Papieren nicht, mit den Haaren schon.

Hast du deine Entscheidung das Land zu verlassen jemals bereut?

In Wirklichkeit ist es meine Berufung, Ausländer zu sein.

Du warst zunächst in Buenos Aires, oder? Wie hast du die Punkszene in Argentinien empfunden? Gab es starke Gegensätze zur Szene Santiagos?

In Argentinien waren die Punks organisierter, hatten bessere Klamotten und ich sah auch zum ersten Mal einen Marshallverstärker. Da habe ich Bands getroffen wie Los Fabulosos Cadillacs oder Todos Tus Muertos. Richtig umgehauen hat mich aber die Punkmusik in Brasilien. Die waren schon viel weiter, obwohl sie nur ganz schlechtes nationales Equipment hatten.

Später bist du nach Europa gekommen. Wie kam es zu dieser Entscheidung und wie hat die Europa gefallen?

Ich hatte eine deutsche Freundin, und mein Vater, der mich loswerden wollte, bot mir ein One-Way-Ticket nach Europa an, wenn ich sie heirate. Ich sagte, einverstanden.

Wie hast du die Menschen in Europa empfunden? Hast du dich eher ungewollt oder willkommen gefühlt? Hattest du Probleme eine Aufenthaltsgenehmigung zu bekommen?

Ich hatte nur diese Zeitschriften gesehen und dachte, dass all diese Models die normale Leute seien. Dass alle freakig angezogen sind und Indiemusik hören. Als ich ankam, sah ich die normalen Leute, die Junkies mit Tättowierungen im Gesicht und die Nutten und war sehr erstaunt. Ich musste an meinen Vater denken, der mir vor meiner Abreise gesagt hatte, er hoffe, dass die Leute mich trotz meiner Indiogesichtszüge gut aufnehmen. Zum ersten Mal war ich mir nicht mehr so sicher, dass ich ein Weisser bin, sondern eher so ein Zwischending. Ich fühlte den Rassismus der einen und die angestrengte Toleranz der anderen. Ich habe immer noch Probleme damit, und das, obwohl ich mehr als 13 Jahre in Deutschland gelebt habe und einen deutschen Sohn habe.

Wie hast du die Punkszenen Europas gesehen? Haben sie dir gefallen, oder warst du eher enttäuscht?

Die Organisation und die Infrastruktur, die es gibt, sind genial. Das Problem, dass ich sehe, ist, dass diese Lebensform völlig von der Sozialhilfe abhängig ist. Unvorstellbar in jedem "unterentwickelten" Land. Das kommt mir verdächtig vor. Manchmal scheint es mir, dass die Regierungen diese Wege und Freiräume des Ausdrucks "unterhalten", um die rebellische Masse in eine passive, selbstzufriedene, in ihrem Innern rebellische, aber nach aussen hin völlig harmlose Bewegung zu verwandeln.
Du kannst die Regierung kritisieren, deine Inkonformität zeigen und brauchst nicht einmal zu arbeiten, aber dadurch, dass der Staat diese Bewegung "bezahlt", kann er sie auch "einrahmen", kontrollieren und was am schlimmsten ist, entradikalisieren. Ich glaube, die europäische Jugend hat die demokratische Zukunft in ihren Händen. Wenn auch nur die kleinste Chance auf eine gerechtere Welt besteht, dann nur, wenn die europäische Jugend sich mobilisiert und von ihren Regierungen Transparenz und eine faire Behandlung der arme Länder fordert. Die jungen Europär sind die einzigen, die erkennen können, dass die Politiker in Wirklichkeit unsere Angestellten sind, die wir bezahlen, damit sie das tun, was wir wollen und dass wir sie, wenn sie das nicht tun, feuern und sie zur Verantwortung ziehen können, wie jeden Angestellten einer kapitalistischen Gesellschaft. Dieser Spruch von The Clash "Know your rights" funktioniert nur hier, nicht in Chiapas.

Du hast in Hamburg gelebt und die Band ‘NINOS CON BOMBAS’ gegründet. Erzähl doch bitte kurz, wer bei dieser Band dabei war, was ihr veröffentlicht habt, etc...

1. Album 1995 “Ninos con bombas de tiempo en el momento de la explosion”
2. Album 1997 “El nino”
Norman Jankowski spielt Schlagzeug, Alex Menck, den Bass und ich singe und spiele Gitarre. Trillian fing an, Samples hinzuzufügen, als wir mit El Nino auf Tour waren.

Wann bist zu zum ersten mal zurück nach Chile gereist? Wie ist es dir dort ergangen? Wie waren deine Gef\ühle, als du wieder in Santiago warst?

1996. Es war total verrückt, voller Emotionen. Das Land wiederzusehen, die Leute, etc. Aber ich wurde das Gefühl nicht los, ein Ausländer zu sein, dass ich die chilenischen Eigenarten ("idiosyncraceda") ein bisschen "zu gut" verstand.

Wie oft reist du heutzutage nach Chile? Für wie groß hältst du den Einfluss der ehemaligen Machthaber heute? Vor allem der Polizei-Apparat hat sich doch nicht wirklich geändert, oder?

Ich bin in den letzten 15 Jahren drei Mal nach Chile gereist. Pinochet ist eine offene Narbe, weil er lebt, weil er nicht verurteilt worden ist und 40% der Bevölkerung ihm immer noch den Fortschritt und die wirtschaftliche Stabilität zuschreiben. Dass der Chef des chilenischen Heers sich vom Putsch distanziert und zugegeben hat, dass die Menschenrechte verletzt worden waren, ist schon ein großer Fortschritt. Diktaturen hinterlassen riesige Wunden, die sehr schwer zu heilen sind. Ich glaube, wir brauchen noch 50 Jahre mehr, um den Hass zu begraben.

Was würdest du Augusto Pinochet sagen, wenn du ihm jemals persönlich begegnen würdest?

Ich weiss nicht, wie ich reagieren würde... ich habe so oft daran gedacht, ihn zu ermorden... aber das wäre zu einfach...ich hätte es gerne, dass er Angst fühlt, Terror... Aber ich mag diese Art von Gedanken nicht, weil sie nur der Ausdruck meiner Reaktion auf ihn sind. Ich versuche schon mein ganzes Leben lang, zu überwinden, dass er etwas in mir hervorruft.

Wie ging es weiter, als sich die NINOS CON BOMBAS aufgelöst haben? Im Moment lebst du ja in Barcelona und hast die Band POLVOROSA. Seit wann bist du dort und was ist POLVOROSA für eine Band?

‘Ninos con Bombas’ lösten sich in Los Angeles auf, und ich kehrte nach Hamburg zurück, und fing an, mit Trillian zu spielen und zu komponieren. Trillian wurde schwanger mit unserem Sohn Rocco, und es erschien uns angebracht, ein sonnigeres, ruhigeres Plätzchen zu suchen, was wir in der Nähe von Barcelona in einem kleinen Dorf fanden. Wir sind nun schon drei Jahre hier.
Polvorosa ist sowas ähnliches wie ‘Ninos con Bombas’, nur mit programmiertem Bass und Manager.

Hast du noch Kontakte zur chilenischen Punkszene? Was ist mit deinen alten Freunden geschehen? Als ich in Chile war habe ich kaum alte Punks getroffen... wie haben sich diese Leute verändert?

Alle sind ziemlich bürgerlich und "modern" geworden, und die, die weiterhin Musik machen, haben jetzt auch Modelfreundinnen und sind "Popstars".

Was für ein Verhältnis hast du insgesamt zu Punk? Interessiert dich diese Art von Musik überhaupt noch? Hast du noch das Gefühl in deinem Inneren Punk zu sein? Was hat sich deiner Meinung nach verändert?

Wie ich schon erklärt habe, bedeutet Punk für mich viel mehr, als ein Musik- oder Kleidungsstil, für mich war es die Möglichkeit, kreativ zu sein in einer der persönlichen Freiheit absolut feindlich gesinnten Umgebung. Er hat meine Weltsicht "modelliert" und mir den Mut gegeben, eine Person, ein Individuum zu sein.
Was die Musik angeht hat mich diese lange Zeit inmitten der Musik zu einem Geniesser gemacht. Zuerstmal mag ich keine Bands, die kopieren, und ich rede nicht von Einflüssen, was ich völlig legitim finde, sondern wirklich davon, gleich zu klingen und gleich zu komponieren wie diese oder jene Band. Das ist für mich kein Punk, auch wenn es zu dieser Musikrichtung gehört. Du darfst nicht vergessen, dass eine der ersten Punkbands, die ich gehört habe, The Clash waren, die sich heutzutage keiner trauen wuürde, als Punk zu bezeichnen. Und es war dieser neue und frische Sound, mit emotionsgeladenen Texten, der mich in dieser Zeit prägte, und ich bin immer noch auf der Suche nach neuen Sounds, die mich überraschen, und leider vermag ich sie in der Punk- oder Neopunkszene nicht zu finden. Ich finde die südamerikanischen Songwriter der 60er Jahre viel punkiger, auch wenn sie soundmässig näher bei Bob Dylan liegen als bei Rancid.

Was hast du für deine persönliche Zukunft geplant... wirst du in Barcelona bleiben, oder weiterziehen?

Ich weiss es nicht. Ich denke nicht gerne an die Zukunft. Mit 21 habe ich aufgehört, an die Zukunft zu denken, als ich nach einem Selbstmordversuch im Krankenhaus aufwachte und dachte, es sieht so aus, als ob ich weiterleben sollte und dass ich aufhören sollte, mir Grenzen und Regeln aufzuerlegen.

Hast du noch irgendwelche abschliessenden Worte?

Nein, danke.

Ich bedanke mich für das Interview

KONTAKT: www.polvorosa.com